Diskriminierungsschutz bei (starker) Übergewichtigkeit?
Gespeichert von Prof. Dr. Markus Stoffels am
Eine (leider) immer drängendere Frage steht derzeit beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg zur Entscheidung an: Verbietet das EU-Recht es, übergewichtige Arbeitnehmer im Arbeitsleben wegen dieser Eigenschaft zu benachteiligen? Die Diskussion beschäftigte zuletzt auch deutsche Gerichte. Erst im Juni war eine Arbeitnehmerin mit ihrer Entschädigungsklage vor dem Arbeitsgericht Darmstadt gescheitert (vgl. Beck-Blog vom 17.6.2014). Sie war vor Gericht gezogen, da ihre Bewerbung für eine Führungsposition wegen ihrer angeblichen Leibesfülle abgelehnt wurde. Der nun vor den EuGH gebrachte Ausgangsfall liegt wie folgt: Der Kläger, Herr Kaltoft, war als Tagesvater seit 15 Jahren bei der dänischen Gemeinde Billund beschäftigt. Er wiegt über 160 Kilogramm und gilt mit einem BMI von 54 auch medizinisch als stark adipös. Ende 2010 wurde ihm gekündigt. Die Kündigung wurde mit einem Rückgang der Zahl zu betreuender Kinder begründet, doch wurde kein ausdrücklicher Grund dafür genannt, dass gerade Herr Kaltoft entlassen wurde. Herr Kaltoft hingegen macht geltend, dass seine Entlassung auf einer rechtswidrigen Diskriminierung wegen seines Gewichts beruhe. Das zuständige Gericht im dänischen Kolding fragte beim EuGH an, ob und unter welchen Voraussetzungen Adipositas als Behinderung zu qualifizieren ist. Nunmehr liegt der Schlussantrag des Generalanwalts beim EuGH, Niilo Jääskinen, vor (vom 17.7.2014 in der Rechtssache C-354/13). Darin führt er aus, dass das EU-Recht eine Diskriminierung wegen Fettleibigkeit nicht direkt verbietet. Allerdings könne Adipositas dann als Behinderung angesehen werden, wenn sie ein solches Maß erreicht hat, dass sie offenkundig ein Hindernis für die Teilhabe am Berufsleben darstellt. Seiner Meinung nach kann nur eine schwere, extreme oder morbide Adipositas, d. h. ein BMI von über 40, zu Einschränkungen wie Problemen bei Mobilität, Belastbarkeit und Stimmung führen, die eine „Behinderung“ im Sinne der Richtlinie zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf darstellen. Abschließend fügt der Generalanwalt hinzu, dass es auf den Ursprung der Behinderung nicht ankomme. Der Begriff der Behinderung sei objektiver Art und hänge nicht davon ab, ob der Kläger durch „selbst verursachte“ übermäßige Energieaufnahme ursächlich zum Eintritt seiner Behinderung beigetragen hat. Damit geht der Generalanwalt etwas weiter als man das bislang – aus medizinischer Sicht – in Deutschland gesehen hat. Hierzulande ist man eher zurückhaltend und sieht allein in einer Adipositas keine Schwerbehinderung. Berücksichtigt werden nur Folge- und Begleitschäden, insbesondere des Bewegungsapparats und des Herz-Kreislauf-Systems. Ein Vorteil der vom Generalanwalt vorgeschlagenen Linie ist aber unbestreitbar die Stärkung der Rechtssicherheit, jedenfalls dann, wenn man umgekehrt sagen kann, dass bei Unterschreiten eines BMI von 40 regelmäßig keine Behinderung vorliegt. Das Urteil des EuGH in der Rechtssache Kaltoft wird in den nächsten Monaten erwartet.