Kann ein Arbeitnehmer die Entlassung des Vorgesetzten verlangen?
Gespeichert von Prof. Dr. Christian Rolfs am
Ein in vielfacher Hinsicht ungewöhnlicher Rechtsstreit beschäftigte das ArbG Solingen: Der Kläger verlangt von seiner Arbeitgeberin, dass diese einen anderen Arbeitnehmer, nämlich seinen (ehemaligen) Vorgesetzten, entlassen solle. Dieser habe ihn auf einer gemeinsamen Dienstreise sexuell missbraucht. Darin liege eine sexuelle "Belästigung" i.S. des § 3 Abs. 4 AGG. Die Arbeitgeberin habe daher nach § 12 Abs. 3 AGG die zur Unterbindung der Benachteiligung erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Angesichts der Schwere der Pflichtverletzung komme nur eine Kündigung in Betracht.
Das Amtsgericht hat den Vorgesetzten am 14.11.2014 wegen schweren sexuellen Missbrauchs zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 4 Monaten verurteilt. Der Vorgesetzte hat hiergegen Rechtsmittel eingelegt. Das Arbeitsgericht Solingen hat in der mündlichen Verhandlung am 20.1.2014 Beweis erhoben, u.a. durch Vernehmung des Vorgesetzten sowie des Vaters des Klägers.
Nach der Beweisaufnahme hat es die Klage abgewiesen. Ein Arbeitnehmer habe zwar Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber das ihm in § 12 Abs. 3 AGG eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausübe. In Extremfällen könne im Wege der "Ermessensreduzierung auf null" auch nur eine einzige Entscheidung - nämlich die Entlassung - rechtmäßig sein. Diese könne der nach dem AGG benachteiligte Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber dann beanspruchen. Dies gelte auch für die Kündigung. Eine solche Ermessensreduzierung sei bei einem sexuellen Missbrauch möglich. Letztlich konnte sich die Kammer jedoch nicht zweifelsfrei davon überzeugen, dass der Vorgesetzte den Kläger tatsächlich missbraucht hatte und die sexuellen Handlungen nicht - wie von diesem behauptet - einvernehmlich stattgefunden haben. Zwar sei nach einer Analyse der Zeugenaussagen und der Anhörung des Klägers dessen Darstellung des Geschehens überwiegend wahrscheinlich. Allerdings verblieben Zweifel, so dass der Kläger das Beweislastrisiko zu tragen hatte.
(ArbG Solingen - 3 Ca 1356/13; weitere Berichte über diesen Fall auch hier)