ArbG Berlin: sexuelle Belästigung rechtfertigt nicht in jedem Fall die fristlose Kündigung
Gespeichert von Prof. Dr. Markus Stoffels am
Einer Kollegin tätschelte er den Po und umarmte sie, eine andere fasste er von hinten an und schüttelte sie. Wegen wiederholter sexueller Belästigung wurde ein Berliner Vertriebsmanager fristlos entlassen. Doch für die Frauen in der Zeitarbeitsfirma ist der umstrittene Leiter keine Vergangenheit: Die Kündigung ist unwirksam, entschied das Berliner Arbeitsgericht. Auch entgangenes Gehalt seit Dezember 2014 solle nachgezahlt werden. Die fristlose Kündigung sei unwirksam, heißt es im Urteil vom 8.4.2015 (Az.: 10 Ca 18240/14), das erst jetzt bekannt wurde und der Deutschen Presseagentur vorliegt und deren Bericht diesem Beitrag zugrunde liegt. Das Gericht moniert, dass der Kläger zuvor nicht abgemahnt worden ist. Die fristlose Kündigung sei das letzte Mittel. Verwiesen wurde auch darauf: Zu den Vorfällen sei es schon ein halbes Jahr vor der Kündigung gekommen – augenscheinlich hätten die betroffenen Arbeitnehmerinnen die Übergriffe als nicht so gravierend empfunden, sonst hätten sie diese der Unternehmungsleitung doch zeitnah mitgeteilt, hieß e s im Urteil. Die Richter ließen das Argument des Unternehmens nicht gelten, dass die Kolleginnen verängstigt gewesen seien und sich erst nicht trauten, die Übergriffe anzusprechen. Das sei nicht nachvollziehbar, so die Richter. Der Rechtsstreit geht nun in die zweite Instanz: Die Firma habe Berufung eingelegt, wie ein Gerichtssprecher sagte. Das Referenzurteil des BAG zu Beurteilung solcher Fälle ist das sog. Busengrapscher-Urteil (20.11.2014, NZA 2015, 294), welches eine - dem Kündigungsrecht auch eher fremde - Rigorosität vermeidet. Eine sexuelle Belästigung i. S. d. § § 3 Abs. 4 AGG ist demnach zwar ein „an sich“ geeigneter wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung. Ob im Einzelfall eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt ist, hängt jedoch – so das BAG - von den konkreten Umständen, u. a. von Umfang und Intensität der Belästigung ab. Die außerordentliche Kündigung könne unverhältnismäßig sein, wenn eine Verhaltensänderung in der Zukunft zu erwarten ist, z. B. weil der Arbeitnehmer sich über die Unerwünschtheit seines Verhaltens geirrt hat, nicht einschlägig abgemahnt ist, die Belästigung offen zugibt und einen Ausgleich mit seinem Opfer herbeiführt.