Ehrenschutz contra Meinungsfreiheit - Drei aktuelle Entscheidungen des BVerfG (1.Teil)
Gespeichert von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg am
Seit langem hält das BVerfG die Meinungsfreiheit hoch und immer noch tun sich die Strafgerichte im Beleidigungsrecht mit Blick auf den Ehrenschutz mit dieser Rechtsprechung schwer.
An drei aufeinanderfolgenden Tagen gelangten nun Entscheidungen des BVerfG zum Ehrenschutz an die Öffentlichkeit, die aber sämtlich vom 29.6.2016 stammen. Gleichwohl Grund genug sich näher mit dieser Rechtsprechung zu befassen, die im Ergebnis zwar nichts Neues bringt, aber am Einzelfall die Rechtsprechung des BVerfG präzisiert:
- 2. August 2016: Beschluss vom 29.6.2016 Az 1 BvR 2646/15
Die falsche Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik verkürzt den grundrechtlichen Schutz der Meinungsfreiheit
- 3. August 2016: Beschluss vom 29.6.2016 Az 1 BvR 2732/15
Die falsche Einordnung einer Äußerung als Tatsache verkürzt den grundrechtlichen Schutz der Meinungsfreiheit
- 4. August 2016: Beschluss vom 29.6.2016 Az 1 BvR 3487/14
Wahre Tatsachenbehauptungen über Vorgänge aus der Sozialsphäre sind grundsätzlich hinzunehmen
Beginnen wir mit der Entscheidung, deren Pressemitteilung Nr. 48/2016 vom Dienstag stammt:
Es geht um einen Strafverteidiger. Nachdem gegen seinen Mandanten erlassen worden war, kam es bei der Haftbefehlsverkündung zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen der Staatsanwältin und dem Beschwerdeführer. Dieser meinte, sein Mandant werde zu Unrecht verfolgt. Am Abend desselben Tages meldete sich telefonisch bei dem Anwalt ein Journalist, der eine Reportage über den Beschuldigten plante. Der Beschwerdeführer wollte mit dem ihm unbekannten Journalisten nicht sprechen. Auf dessen hartnäckiges Nachfragen und weil er immer noch verärgert über den Verlauf der Ermittlungen war, äußerte er sich dann doch über das Verfahren und bezeichnete die mit dem Verfahren betraute Staatsanwältin unter anderem als „dahergelaufene Staatsanwältin“ und „durchgeknallte Staatsanwältin“. Der Anwalt wurde wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 120 € verurteilt. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügte der Beschwerdeführer erfolgreich die Verletzung seines Grundrechts auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG).
Fehlerhaft sei die Verurteilung ohne hinreichende Begründung von einer Schmähkritik ausgegangen.
Wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts ist der Begriff der Schmähkritik von verfassungs wegen eng zu verstehen. Schmähkritik ist ein Sonderfall der Beleidigung, der nur in seltenen Ausnahmekonstellationen gegeben ist. Die Anforderungen hierfür sind besonders streng, weil bei einer Schmähkritik anders als sonst bei Beleidigungen keine Abwägung mit der Meinungsfreiheit stattfindet. Wird eine Äußerung unzutreffend als Schmähkritik eingestuft, liegt darin ein eigenständiger verfassungsrechtlicher Fehler, auch wenn die Äußerung im Ergebnis durchaus als Beleidigung bestraft werden darf.
Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit schützt nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen. Vielmehr darf Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen. Einen Sonderfall bilden herabsetzenden Äußerungen, die sich als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellen. In diesen Fällen ist ausnahmsweise keine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht notwendig, weil die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurücktritt. Diese für die Meinungsfreiheit einschneidende Folge gebietet es aber, hinsichtlich des Vorliegens von Formalbeleidigungen und Schmähkritik strenge Maßstäbe anzuwenden. Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit sind auch dann verkannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Schmähkritik eingestuft wird mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind.
Zwar sind die in Rede stehenden Äußerungen ausfallend scharf und beeinträchtigen die Ehre der Betroffenen. Die Verurteilunglege aber nicht in einer den besonderen Anforderungen für die Annahme einer Schmähung entsprechenden Weise dar, dass ihr ehrbeeinträchtigender Gehalt von vornherein außerhalb jedes in einer Sachauseinandersetzung wurzelnden Verwendungskontextes stand. Insoweit hätte es näherer Darlegungen bedurft, dass sich die Äußerungen von dem Ermittlungsverfahren völlig gelöst hatten oder der Verfahrensbezug nur als mutwillig gesuchter Anlass oder Vorwand genutzt wurde, um die Staatsanwältin als solche zu diffamieren. So lange solche Feststellungen nicht tragfähig unter Ausschluss anderer Deutungsmöglichkeiten getroffen sind, hätte der Beschwerdeführer nicht wegen Beleidigung verurteilen werden dürfen, ohne eine Abwägung zwischen seiner Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrecht der Staatsanwältin vorzunehmen.
Für das weitere Verfahren weist das BVerfG darauf hin, dass ein Anwalt grundsätzlich nicht berechtigt ist, aus Verärgerung über von ihm als falsch angesehene Maßnahmen einer Staatsanwältin oder eines Staatsanwalts diese gerade gegenüber der Presse mit Beschimpfungen zu überziehen. Insoweit muss sich im Rahmen der Abwägung grundsätzlich das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen durchsetzen.