Das Kopftuch vor den Gerichten
Gespeichert von Prof. Dr. Markus Stoffels am
I. Beschluss des BVerfG im einstweiligen Rechtsschutz
Mit Beschluss vom 27.6.2017 (2 BvR 1333/17) hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung einer Referendarin im juristischen Vorbereitungsdienst des Landes Hessen abgelehnt. Die Beschwerdeführerin hat die deutsche und die marokkanische Staatsbürgerschaft und trägt als Ausdruck ihrer individuellen Glaubensüberzeugung in der Öffentlichkeit ein Kopftuch. In Hessen dürfen hingegen Rechtsreferendarinnen, die aus religiösen Gründen ein Kopftuch tragen, bei Verhandlungen im Gerichtssaal nicht auf der Richterbank sitzen, keine Sitzungsleitungen und Beweisaufnahmen durchführen, keine Sitzungsvertretungen für die Amtsanwaltschaft übernehmen und während der Verwaltungsstation keine Anhörungsausschusssitzung leiten (Erlass des Hessischen Ministeriums der Justiz vom 28. Juni 2007 in Verbindung mit § 27 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über die juristische Ausbildung - JAG - in Verbindung mit § 45 Hessisches Beamtengesetz - HBG). Die Beschwerdeführerin, hatte sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde und dem damit verbundenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen diese Beschränkungen gewandt und vornehmlich die Verletzung ihrer Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und ihrer Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) gerügt. Der Antrag hatte beim BVerfG keinen Erfolg. Für die Bewertung dieser Entscheidung ist es wichtig zu wissen, dass das BVerfG im einstweiligen Rechtsschutz eine Folgenabwägung durchführt. Auf diesem Wege gelangt das BVerfG zu dem Ergebnis, das das erforderliche Überwiegen der Gründe, die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechen, hier nicht festgestellt werden kann.
Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich später die Verfassungsbeschwerde jedoch als begründet, dann wäre die Beschwerdeführerin zwar bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde in Grundrechten, nämlich vor allem in ihrer individuellen Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) verletzt. Das BVerfG weit indes darauf hin, dass das Kopftuchverbot in zeitlicher sowie örtlicher Hinsicht lediglich begrenzt eingreift, indem die Beschwerdeführerin ausschließlich von der Repräsentation der Justiz oder des Staates ausgeschlossen wird. Hingegen blieben die übrigen, weit überwiegenden Ausbildungsinhalte im Rahmen der Einzelausbildung oder der Arbeitsgemeinschaften unberührt.
Erginge indessen die einstweilige Anordnung, hätte die Verfassungsbeschwerde aber keinen Erfolg, würden die vom Landesgesetzgeber mit § 27 JAG in Verbindung mit § 45 HBG verfolgten Belange, die mit denen der Beschwerdeführerin zumindest gleich zu gewichten sind, einstweilen nicht verwirklicht. Der freiheitliche Staat des Grundgesetzes sei gekennzeichnet von Offenheit gegenüber der Vielfalt weltanschaulich-religiöser Überzeugungen und gründe dies auf ein Menschenbild, das von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung geprägt sei. Der Staat dürfe keine gezielte Beeinflussung im Dienste einer bestimmten politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtung betreiben oder sich durch von ihm ausgehende oder ihm zuzurechnende Maßnahmen ausdrücklich oder konkludent mit einem bestimmten Glauben oder einer bestimmten Weltanschauung identifizieren. Dies gälte nach der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG insbesondere auch für den vom Staat garantierten und gewährleisteten Bereich der Justiz. Das Grundgesetz gewährleiste den Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens, vor einem unabhängigen und unparteilichen Richter zu stehen, der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber allen Verfahrensbeteiligten und dem Verfahrensgegenstand bietet. Auch Rechtsreferendare, die als Repräsentanten staatlicher Gewalt auftreten und als solche wahrgenommen werden, hätten das staatliche Neutralitätsgebot zu beachten. Das Einbringen religiöser oder weltanschaulicher Bezüge durch Rechtsreferendare könne den in Neutralität zu erfüllenden staatlichen Auftrag der Rechtspflege und der öffentlichen Verwaltung beeinträchtigen. Ein islamisches Kopftuch sei ein religiös konnotiertes Kleidungsstück. Werde es als äußeres Anzeichen religiöser Identität verstanden, so bewirke es das Bekenntnis einer religiösen Überzeugung, ohne dass es hierfür einer besonderen Kundgabeabsicht oder eines zusätzlichen wirkungsverstärkenden Verhaltens bedarf. Darüber hinaus sei die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Prozessbeteiligten zu berücksichtigen. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleiste die Freiheit, kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben. Es erscheint nachvollziehbar, wenn sich Prozessbeteiligte in ihrem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 GG verletzt fühlen, wenn sie dem für sie unausweichlichen Zwang ausgesetzt werden, einen Rechtsstreit unter der Beteiligung von Repräsentanten des Staates zu führen, die ihre religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen erkennbar nach außen tragen.
II. Das Kopftuch vor den Berliner Arbeitsgerichten
Das muslimische Kopftuch beschäftigt derweil auch die Berliner Arbeitsgerichtsbarkeit. Eine muslimische Lehrerin, die ein Kopftuch trägt und bei der Bewerbung in Berlin abgelehnt wurde, bekommt – wie jetzt bekannt wurde - Geld vom Land Berlin. Wie das ArbG Berlin (PM Nr. 13/17 vom 26.06.2017 - 58 Ca 7190/17 und 58 Ca 7193/17) mitteilte, schlossen beide Parteien einen Vergleich. Das Land Berlin habe sich zur Zahlung von zwei Monatsgehältern (insgesamt 8.680 Euro) verpflichtet. In einem zweiten Fall einer kopftuchtragenden Lehrerin soll es eine weitere mündliche Verhandlung geben. Die Frauen hatten sich auf eine Stelle an einer Berliner Schule beworben. Im Bewerbungsgespräch habe es Hinweise darauf gegeben, dass sie als Lehrerinnen an der Schule kein Kopftuch aus religiösen Gründen tragen dürften. Dies sei mit dem Berliner Neutralitätsgesetz “ (Gesetz zu Artikel 29 der Verfassung von Berlin vom 27.01.2005, GVBl. 2005, 92) begründet worden. Das Berliner Neutralitätsgesetz schreibt vor, dass Polizisten, Lehrer und Justizmitarbeiter im öffentlichen Dienst keine religiös geprägten Kleidungsstücke tragen dürfen. Hier schließt sich das ArbG Berlin allerdings offenbar dem LAG Berlin (Urt. v. 14.4.2016, NZA-RR 2017, 378) an. Dieses hatte – schon zuvor in einem vergleichbaren Fall klargestellt, dass das Berliner Neutralitätsgesetz im Hinblick auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 27.01.2015 (1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10, NJW 2015, 1359, ) und vom 18.10.2016 (1 BvR 354/11, NJW 2017, 381) einschränkend ausgelegt werden müsse. Nach der hiernach vorgegebenen erheblichen Bedeutung der Glaubensfreiheit sei ein generelles Verbot eines muslimischen Kopftuchs ohne konkrete Gefährdung nicht zulässig. Wenn eine konkrete Gefährdung durch die Bewerberin nicht geltend gemacht werden kann, geht die Berliner Arbeitsgerichtsbarkeit mithin von einem entschädigungspflichtigen Verstoß gegen § 7 Abs. 1 AGG aus.