Keine Ausgleichszahlungen nach Flugausfall infolge von Massenkrankmeldungen (Tui Fly)
Gespeichert von Prof. Dr. Markus Stoffels am
Massenhafte Krankmeldungen von Arbeitnehmern, um Forderungen Nachdruck zu verleihen („go sick“), stellen keine rechtmäßigen Arbeitskampfmaßnahmen dar. Vielmehr handelt es sich nach ganz h.M. um rechtswidrige Pflichtverletzungen der beteiligten Arbeitnehmer, die auch entsprechend geahndet werden können (zu den arbeitsrechtlichen Implikationen vgl. Beckerle/Stolzenberg, Kollektive Krankmeldungen – Rückkehr eines atypischen Kampfmittels? NZA 2016, 1313). Gleichwohl kommt es – insbesondere in der Flugbranche – immer wieder zu solchen – offensichtlich abgestimmten – Krankmeldungen des Personals. So verhielt es sich auch bei der Tui Fly. Anfang Oktober 2016 hatten mehr als 500 Krankmeldungen den Flugverkehr von Tui Fly lahmgelegt. Bundesverkehrsminister Dobrindt hatte Tui Fly daraufhin kritisiert und betroffenen Reisenden empfohlen, Ansprüche gegen das Unternehmen geltend zu machen. Diesem Rat sind offenbar nicht wenige Reisende gefolgt. Nunmehr liegt das – soweit ersichtlich – erste Berufungsurteil (LG Hannover 24.11.2017 – 8 S 25/17) vor. Die Kläger in diesem Verfahren wollten am 6. Oktober 2016 von Kreta nach Stuttgart fliegen. Ihr Flug wurde jedoch gestrichen, weil sich eine große Zahl von Piloten der beklagten Fluggesellschaft Tui Fly krank gemeldet hatte. Diese massenhaften Krankmeldungen standen im zeitlichen Zusammenhang mit einer Entscheidung der Unternehmensführung über beabsichtigte Umstrukturierungen. Die Kläger wurden erst am Tage darauf befördert und hatten ihr Ziel mit einer rd. 30-stündigen Verspätung erreicht. Tui Fly hatte Zahlungen mit dem Argument abgelehnt, es habe sich um einen „wilden Streik" des Personals gehandelt, der einen außergewöhnlichen Umstand darstelle.
Art. 5 Abs. 3 der FluggastrechteVO lautet:
„(3) Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.“
Das LG Hannover hält diesen Ausnahmetatbestand für erfüllt und hat demgemäß die auf Ausgleichszahlungen in Höhe von 800 Euro gerichteten Klagen in Übereinstimmung mit der Vorinstanz abgewiesen. Ein nicht gewerkschaftlich organisierter „wilder Streik" dieses Ausmaßes stelle einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne der Fluggastrechteverordnung dar, der für die Fluggesellschaft nicht beherrschbar gewesen sei. Damit habe die Airline nicht rechnen müssen, es müsse vielmehr auch einer Fluggesellschaft möglich sein, ihre Betriebsangehörigen über eine mögliche wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens zu unterrichten. Auch arbeitsrechtliche Maßnahmen hätten den konkreten Flugausfall nicht verhindern können, weil diese einige Tage in Anspruch genommen hätten; Abmahnungen oder Kündigungen wären in dieser Situation nicht zielführend gewesen. Es sei auch nicht feststellbar gewesen, dass sich die Annullierung des Fluges durch andere zumutbare Maßnahmen habe vermeiden lassen können. Das LG Hannover hat die Revision gegen die Entscheidung (Revision zum BGH) zugelassen.