Grundsatzurteil des EuGH zur Kündigung kirchlicher Mitarbeiter
Gespeichert von Prof. Dr. Markus Stoffels am
Der EuGH (Urteil vom 11.9.2018 - C-68/17) hat ein mit Spannung erwartetes Grundsatzurteil zur Kündigung kirchlicher Mitarbeiter wegen Verletzung von Loyalitätspflichten erlassen. Es beschränkt den kirchlichen Einfluss auf das Arbeitsrecht, spielt den Ball allerdings wieder zurück an das Bundesarbeitsgericht.
Der Sachverhalt stellt sich wie folgt dar:
Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist katholischer Konfession und arbeitete als Chefarzt der Abteilung „Innere Medizin“ eines katholischen Krankenhauses in Düsseldorf. Als der Arbeitgeber erfuhr, dass ihr Chefarzt nach der Scheidung von seiner ersten Ehefrau, mit der er nach katholischem Ritus verheiratet war, erneut standesamtlich geheiratet hatte, ohne dass seine erste Ehe für nichtig erklärt worden wäre, kündigte sie ihm. Ihrer Ansicht nach hat der Chefarzt durch Eingehung einer nach kanonischem Recht ungültigen Ehe in erheblicher Weise gegen seine Loyalitätsobliegenheiten aus seinem Dienstvertrag verstoßen. Der Dienstvertrag verweist auf die Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse von 1993, die vorsieht, dass die Eingehung einer nach kanonischem Recht ungültigen Ehe durch einen leitend tätigen katholischen Beschäftigten einen schwerwiegenden Verstoß gegen seine Loyalitätsobliegenheiten darstellt und seine Kündigung rechtfertigt.
Der gekündigte Chefarzt hat die deutschen Arbeitsgerichte angerufen und geltend gemacht, dass seine erneute Eheschließung kein gültiger Kündigungsgrund sei. Das BAG (28.7.2016 - 2 AZR 746/14, NZA 2017, 388) ersuchte den Gerichtshof um Auslegung der Gleichbehandlungsrichtlinie 2000/78/EG, nach der es grundsätzlich verboten ist, einen Arbeitnehmer wegen seiner Religion oder seiner Weltanschauung zu diskriminieren, es Kirchen und anderen Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, aber unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt ist, von ihren Beschäftigten zu verlangen, dass sie sich loyal und aufrichtig im Sinne dieses Ethos verhalten.
Der EuGH urteilte, dass der Beschluss einer Kirche oder einer anderen Organisation, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht und die eine Klinik betreibt, an ihre leitend tätigen Beschäftigten je nach deren Konfession oder Konfessionslosigkeit unterschiedliche Anforderungen an das loyale und aufrichtige Verhalten im Sinne dieses Ethos zu stellen, Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein können müsse. Bei dieser Kontrolle müsse das nationale Gericht sicherstellen, dass die Religion oder die Weltanschauung im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des fraglichen Ethos ist. Im vorliegenden Fall habe das BAG zu prüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind. Gleichwohl weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Akzeptanz des von der katholischen Kirche befürworteten Eheverständnisses wegen der Bedeutung der vom Kläger ausgeübten beruflichen Tätigkeiten, nämlich Beratung und medizinische Pflege in einem Krankenhaus und Leitung der Abteilung „Innere Medizin“ als Chefarzt, für die Bekundung des Ethos nicht notwendig zu sein scheint. Sie scheine somit keine wesentliche Anforderung der beruflichen Tätigkeit zu sein, was dadurch erhärtet werde, dass ähnliche Stellen Beschäftigten anvertraut wurden, die nicht katholischer Konfession sind und folglich nicht derselben Anforderung unterworfen waren.
Der EuGH knüpft damit an seine vor kurzem ergangene Entscheidung in Sachen Egenberger (17.4.2018- C-414/16, NZA 2018, 569) an, in der das kirchliche Selbstbestimmungsrecht ebenfalls nicht unerheblich eingeschränkt worden ist. Damals ging es um eine konfessionslose Frau, die sich erfolglos um eine Referentenstelle beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung beworben hatte. Es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass es künftig auf die Nähe zum Verkündigungsauftrag der Kirche ankommen wird. Das steht in einem nicht zu übersehenden Widerspruch zur Rechtsprechung des BVerfG, das gerade in dem jetzt vom EuGH entschiedenen Chefarzt-Fall dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht einen hohen Stellenwert zuerkannt hatte (Beschl. vom 22.10.2014 - 2 BvR 661/12, NZA 2014, 1387). Wie sich nun das BAG positioniert, bleibt abzuwarten.
Erwartungsgemäß kritisch kommentieren Vertreter der katholischen Kirche die neue EuGH-Entscheidung. Der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, Hans Langendörfer, äußerte etwa, das Urteil verkenne die die verfassungsrechtliche Position der Kirchen. Im Sinne des Selbstbestimmungsrechts sei es schließlich Sache der Kirche selbst, Loyalitätserwartungen an ihre Mitarbeiter zu formulieren.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass die katholische Kirche im Jahre 2015 die Grundordnung geändert hatte, so dass der Fall heute wohl anders beurteilt worden wäre. Daher dürften die praktischen Konsequenzen überschaubar sein. Es geht vor allem um das Prinzip und die Frage, welchen Stellenwert das Europäische Recht dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht einräumt. Hier hätte man die Akzente sicherlich mit guten Gründe (Art. 17 AEUV) auch anders setzen können.