Grundsatzentscheidung des BGH: Weiterleben ist niemals ein Schaden
Gespeichert von Dr. Michaela Hermes, LL.M. am
Das Weiterleben eines Patienten, der bei pflichtgemäßem Verhalten des Arztes früher verstorben wäre, stellt keinen ersatzfähigen Schaden in der Person des Patienten dar, urteilte der BGH heute, Az.: VI ZR 13/18. Ein Arzt muss wegen einer Lebenserhaltung seines Patienten durch künstliche Ernährung kein Schmerzensgeld und Schadensersatz zahlen.
Der Fall
Ein schwerkranker Demenzpatient wurde viele Jahre über eine Magensonde künstlich ernährt. Er war bewegungs- und kommunikationsunfähig. Der Sohn lebte in den USA. Ein gerichtlich bestellter Betreuer und ein Hausarzt tauschten sich nicht umfassend und gründlich über die Situation des Patienten aus. Eine Patientenverfügung gab es nicht. Der Patient verstarb 2011 82-jährig.
Der Vorwurf des klagenden Sohnes:
Der Hausarzt habe es versäumt, den Betreuer oder den Sohn des Patienten darüber aufzuklären, dass die Situation des Vaters medizinisch aussichtslos war. Die Sondenernährung habe das Leiden des demenzkranken Patienten an dessen Lebensende unnötig verlängert. Die Lebens- und Leidensverlängerung des Patienten stelle einen ersatzfähigen Schaden dar.
Die beiden Vorinstanzen entschieden gegensätzlich.
Das Oberlandesgericht (OLG) München, Urteil vom 21.12.2017 - 1 U 454/17, BeckRS 2017, 146433 sprach dem aus ererbten Recht klagenden Sohn des Patienten 40.000,- € Schmerzensgeld zu. (Siehe dazu den Beitrag vom 11.01.2018). Damit kassierte das OLG die Entscheidung des Landgerichts (LG) München, Urteil vom 18.01.2017 – 9 O 5246/14, in erster Instanz. Das LG hatte einen Schmerzensgeldanspruch abgelehnt. (Dazu der Beitrag vom 03.02.2017).
Beide Parteien legten gegen das Urteil des OLG München Revision ein.
Die Entscheidung des BGH
Wie nach dem Verhandlungstermin des BGH am 12. März 2019 zu erwarten war, hat der BGH eine Haftung des Arztes abgelehnt. Die Richter argumentierten grundsätzlich. Der BGH äußerte sich nicht zu der Frage, ob der Mediziner mit dem Sohn und Betreuer hätte sprechen müssen.
Die höchsten Bundesrichter waren klar:
Das menschliche Leben ist ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig… Deshalb verbietet es sich, das Leben – auch ein leidensbehaftetes Weiterleben – als Schaden anzusehen (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG).
So die Pressemitteilung des BGH.
Unabhängig davon sei, ob der Patient selbst sein Leben als lebensunwert erachten möge, argumentierten die Richter. Die Verfassungsordnung verbiete der staatlichen Gewalt und damit auch der Rechtsprechung ein solches Urteil über das Leben des betroffenen Patienten, entschied der BGH.
Praxishinweis: Ein Patient kann selbst entscheiden und festlegen wie er sein Lebensende gestalten möchte. Die eigenen medizinisch-ethischen Bewertungsmaßstäbe sollte er frühzeitig in einer Patientenverfügung festlegen.