Paukenschlag ausgeblieben! VerfGH Rheinland-Pfalz macht nicht mehr, als es muss!
Gespeichert von Carsten Krumm am
Tja...alle mit OWis befassten Verkehrsrechtlerinnen und -rechtler haben auf eine nächste Entscheidung eines Landesverfassungsgerichts gewartet, die sich mit den so genannten standardisierten Messverfahren befasst und klärt, welche Daten es für die Verteidigung bedarf, um die Richtigkeit einer Messung überprüfen zu können. Zur Erinnerung: Der VerfGH des Saarlandes hatte sich weit aus dem Fenster gelehnt und vor einiger Zeit zunächst einen umfangreichen Akteneinsichtsanspruch bejaht und schließlich auch im letzten Jahr Messungen mit Traffistar 350 S im Saarland gekippt. Hintergrund waren nicht ausreichend aufgezeichnete, aber von dem Gerät ursprünglich erhobene Rohmessdaten. Der VerfGH Saarland hatte darin eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung gesehen und eine Verletzung der Grundsätze über ein faires Verfahren.
Nachfolgend mussten/müssen sich die saarländischen Gerichte diese Entscheidung beugen. Das OLG Saarbrücken stellte etwa alle Verfahren hinsichtlich des genannten Messgerätes nach § 47 OWiG ein. Die OLGe der anderen Bundesländer dagegen haben sich alle gegen den VerfGH Saarland gewandt.
Dabei betrifft das aufgeworfene Datenproblem wohl nicht nur Traffistar, sondern auch andere Geräte. RA Gratz, dessen Kanzlei als Vertreter vor den Verfassungsgerichten die betreffenden Entscheidungen erwirkt hatte, hat mir damals auf meine Frage hin verschiedene - seiner Ansicht nach gleichartige - "Problemmessgeräte" benannt. Jetzt hat seine Kanzlei ihr Glück in Rheinland-Pfalz versucht. Das VerfG dort hat aber (leider) nicht mehr entschieden, als es muss. Mit der Rechtsprechung der OLGe zu dem Akteneinsichtsrecht und auch dem Durcheinander hierbei ist das VerfG nicht einverstanden - das Gericht fordert eigentlich unverblümt auf, endlich einmal dem BGH zur Klärung vorzulegen - insoweit war die Verfassungsbeschwerde erfolgreich. Was das straßenverkehrsrechtliche OWi-Kernproblem der Messdaten anging (im konkreten Fall ging es um "PoliScan speed") hat das VerfG nicht wirklich entschieden. Aber es hat angedeutet: "OWi-Recht ist nur Strafrecht-light...da kann das vielleicht mit den Messgeräten so ok sein!" Immerhin: Eine erfreuliche Tendenz insoweit....wohlgemerkt aus meiner Sicht. Aus Anwaltssicht eher enttäuschend!
Volltext findet man bei RA Gratz - hier
In der PM des VerfG ist das kurz zusammenfassend so dargestellt:
Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz in Koblenz hat mit heute veröffentlichtem Urteil vom 15. Januar 2020 einer Verfassungsbeschwerde teilweise stattgegeben, der eine amtsgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung zugrunde lag. Es hat den Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz, mit dem dieses den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Wittlich verworfen hatte, aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Dem Beschwerdeführer wurde in einem Bußgeldverfahren vorgeworfen, die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften überschritten zu haben. Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte mittels eines in einen Anhänger (sog. Enforcement Trailer) eingebauten Messgerätes des Typs PoliScan FM1 der Firma Vitronic. Im Laufe des Verfahrens, zuletzt in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht Wittlich, beantragte seine Verteidigerin die Überlassung verschiedener Messdaten sowie der Auf- und Einbauvorschriften für die Verwendung des Gerätes in einem Enforcement Trailer, ferner die Aussetzung des Verfahrens sowie die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Fehlerhaftigkeit der Geschwindigkeitsmessung. Sämtliche Anträge wurden durch Beschluss des Gerichts abgelehnt.
Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen des Geschwindigkeitsverstoßes zu einer Geldbuße von 120 Euro. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde machte dieser unter anderem geltend, hinsichtlich der Aufbauvorschriften könne auf die Rechtsprechung mehrerer Oberlandesgerichte zu Bedienungsanleitungen zurückgegriffen werden, die ein Einsichtsrecht des Betroffenen bejahe. Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde wurde durch den mit einer Richterin besetzten Bußgeldsenat (§ 80a Abs. 1 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten – OWiG –) des Oberlandesgerichts Koblenz als unbegründet verworfen. Sämtliche im Zulassungsantrag aufgeworfenen Rechtsfragen verfahrens- und materiell-rechtlicher Art seien geklärt.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer sowohl gegen das Urteil des Amtsgerichts als auch den Beschluss des Oberlandesgerichts. Die Nichtüberlassung der Messdaten und weiterer Dokumente verstoße gegen das Recht auf ein faires Verfahren, die Ablehnung des beantragten Sachverständigengutachtens zudem gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör. Der Beschluss des Oberlandesgerichts sei mit den Garantien des gesetzlichen Richters und effektiven Rechtsschutzes unvereinbar.
Die Verfassungsbeschwerde hatte teilweise Erfolg.
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz verletze die Rechte auf effektiven Rechtsschutz (Art. 124 der Verfassung für Rheinland-Pfalz – LV –) und den gesetzlichen Richter (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 LV). Der Beschwerdeführer habe in seinem Zulassungsantrag ausdrücklich auf die Rechtsprechung mehrerer Oberlandesgerichte hingewiesen, wonach ein Recht auf Einsichtnahme in die mit der hier geforderten Aufbauanleitung vergleichbare Gebrauchsanweisung eines Messgerätes auch dann bestehe, wenn diese sich nicht bei der Gerichtsakte befinde. Vor diesem Hintergrund sei objektiv kein Gesichtspunkt erkennbar, der die Verwerfung des Zulassungsantrags als unbegründet rechtfertige. Bestehe zu derselben Rechtsfrage bereits eine abweichende Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte, sei die Rechtsbeschwerde vielmehr zur Fortbildung des Rechts bzw. zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen und auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen, um eine Divergenzvorlage an den Bundesgerichtshof zu ermöglichen.
Hinsichtlich der weiter gerügten Grundrechtsverletzungen wies der Verfassungsgerichtshof die Verfassungsbeschwere hingegen zurück. Wegen des verfassungsprozessualen Grundsatzes materieller Subsidiarität sei dem Oberlandesgericht durch die Zurückverweisung zunächst Gelegenheit zu geben, erneut über den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zu befinden. Der Verfassungsgerichtshof betonte allerdings, die an der jüngeren Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes zu den Gewährleistungen des fairen Verfahrens und des rechtlichen Gehörs orientierte Argumentation des Beschwerdeführers sei keineswegs zwingend. Gerade im Ordnungswidrigkeitenverfahren, das sich in wesentlichen Punkten vom Strafverfahren unterscheide, seien neben den Rechten des Betroffenen auch die Erfordernisse einer funktionierenden Rechtspflege in den Blick zu nehmen.
Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, Urteil vom 15. Januar 2020, VGH B 19/19