Die gute Nachricht - in Berlin braucht es keinen nächtlichen Eildienst in Strafsachen! Aber ich warte mal, bis das BVerfG "dazwischenhaut"
Gespeichert von Carsten Krumm am
Manchmal staunt man nicht schlecht. Noch im letzten Jahr erklärte das BVerfG den durchaus erstaunten deutschen Juristinnen und Juristen (vereinfacht formuliert): Der Richtervorbehalt ist toll! Er ergibt sich aus dem GG! Und das GG gilt auch nachts! Viele fanden das überraschend. Das BVerfG forderte daher auch einen nächtlichen Eildienst, wenn es Bedarf gibt. Und der sei zu prüfen - vor allem an den Gerichten am Sitz der StA! Das BerfG gab den Ball so zurück an die Amtsgerichte. Keinen wundert es, was die Amtsgerichte in ganz Deutschland daraufhin machten: Sie ließen die Luft aus den ihnen zugespielten Bällen. Oder anders: Keines (!) richtete daraufhin einen nächtlichen Eildienst ein. Ich tippe einmal: Das BVerfG hat sich die Wahrnehmung des "Beurteilungs- und Prognosespielraums" durch die deutschen Amtsgerichte anders vorgestellt. Und noch kurioser: In Berlin wurde der nächtliche Strafrechtseildienst auch noch Anfang 2020 eingestellt. Erstaunlich. Ich hoffe, das liegt etwa daran (Vorsicht: Klischee!), dass am Görlitzer Park die Dealer mittlerweile einfach früher nach Hause gehen, als in vergangenen Jahren. Kein Mensch muss daher nachts mehr mit Bedarf an richterlichen Eilentscheidungen rechnen. Mich beruhigt das. Meine eigenen Berlinerfahrungen haben mich zwar scheinbar anderes gelehrt - aber vielleicht wurde mir am Görli in den letzten Jahren tatsächlich immer nur Rasen angeboten, nicht aber meines vorurteilsbeladenen Denkens entsprechend "Cannabis". Ich befürchte aber, dass das BVerfG da ganz wenig Humor verstehen wird. Dort wird sicher in naher Zukunft ganz schnell und ganz scharf entschieden werden - wie anders sollen die Richterinnen und Richter dort auch reagieren, wenn nirgends in Deutschland nachts dem GG Geltung verschafft wird....
Ach so. Zur Erinnerung hier nochmals die Leitsätze des BVerfG aus dem letzten Jahr
Aus Art. 13 GG ergibt sich die Verpflichtung der staatlichen Organe, dafür Sorge zu tragen, dass die effektive Durchsetzung des grundrechtssichernden Richtervorbehaltes gewährleistet ist. Damit korrespondiert die verfassungs-rechtliche Verpflichtung der Gerichte, die Erreichbarkeit eines Ermittlungs-richters, auch durch die Einrichtung eines Bereitschaftsdienstes, zu sichern.
Zu den Anforderungen an einen dem Gebot der praktischen Wirksamkeit des Richtervorbehalts entsprechenden richterlichen Bereitschaftsdienst gehört die uneingeschränkte Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters bei Tage, auch außerhalb der üblichen Dienststunden. Die Tageszeit umfasst dabei ganzjährig die Zeit zwischen 6 Uhr und 21 Uhr. Während der Nachtzeit ist ein ermittlungsrichterlicher Bereitschaftsdienst jedenfalls bei einem Bedarf einzurichten, der über den Ausnahmefall hinausgeht.
Ob und inwieweit ein über den Ausnahmefall hinausgehender Bedarf an nächtlichen Durchsuchungsanordnungen die Einrichtung eines ermittlungs-richterlichen Bereitschaftsdienstes zur Nachtzeit erfordert, haben die Gerichtspräsidien nach pflichtgemäßem Ermessen in eigener Verantwortung zu entscheiden. Für die Art und Weise der Bedarfsermittlung steht ihnen ein Beurteilungs- und Prognosespielraum zu.
BVerfG, Beschluss vom 12.03.2019 - 2 BvR 675/14, NJW 2019, 1428 (m. Anm. Krumm)
Das BVerfG gibt dann noch in den Gründen folgende Hinweise:
Für den ermittlungsrichterlichen Aufgabenbereich obliegt es daher den Präsidien der Amtsgerichte am Sitz der Staatsanwaltschaft oder ihrer Zweigstelle (vgl. § 162 Abs. 1 Satz 1 StPO) oder – im Falle der Bereitschaftsdienstkonzentration nach § 22c GVG – dem Präsidium des Landgerichts im Einvernehmen mit den Präsidien der einbezogenen Amtsgerichte (vgl. § 22c Abs. 1 Satz 4 GVG), eine Prognoseentscheidung darüber zu treffen, ob und inwieweit in dem betroffenen Gerichtsbezirk ein über den Ausnahmefall hinausgehender praktischer Bedarf für die Einrichtung eines nächtlichen ermittlungsrichterlichen Bereitschaftsdienstes besteht (vgl. Kissel/Mayer, GVG, 9. Aufl. 2018, § 21e Rn. 136 und § 22c Rn. 1).
Ein plausibler Erfahrungswert kann der Umstand sein, dass in Großstädten zur Abend- und Nachtzeit signifikant mehr eilbedürftige Anträge auf Erlass von Durchsuchungsanordnungen anfallen als in ländlichen Gerichtsbezirken (vgl. einerseits BVerfGK 9, 287 <290> zur Großstadt München und andererseits BVerfGK 2, 176 <178> zum Land Brandenburg). Auch können die Grenznähe eines Gerichtsbezirks, wenn sie erfahrungsgemäß in größerem Umfang zu grenzüberschreitender Kriminalität führt, oder der Umstand, dass sich im Gerichtsbezirk ein bekannter Kriminalitätsschwerpunkt befindet, darauf schließen lassen, dass zur Nachtzeit ein über den Ausnahmefall hinausgehender Bedarf an Durchsuchungsanordnungen besteht. Ein solcher erhöhter Bedarf kann schließlich zeitlich begrenzt während der Dauer von Großereignissen auftreten (vgl. z.B. BVerfGK 7, 87 <102> zur Erforderlichkeit der Einrichtung eines richterlichen Eildienstes zur Nachtzeit aufgrund von zu erwartenden gefahrenabwehrrechtlichen Masseningewahrsamnahmen anlässlich eines Castor-Transports). Maßgeblich sind stets die spezifischen Verhältnisse im einzelnen Gerichtsbezirk, so dass sich generelle Vorgaben verbieten.