LAG Schleswig-Holstein: Dienst-SMS muss in Freizeit nicht gelesen werden
Gespeichert von Prof. Dr. Markus Stoffels am
Die Frage der Erreichbarkeit von Arbeitnehmer außerhalb ihrer Arbeitszeiten wird seit einiger Zeit intensiv diskutiert. Gerichtliche Urteile zu dieser Thematik sind hingegen eher selten. Von daher verdient eine vor kurzem veröffentlichte Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein (Urt. v. 27.9.2022 – 1 Sa 39 öD/22, NZA-RR 2022, 624) besondere Aufmerksamkeit.
In dem entschiedenen Fall ging es um kurzfristige Dienstplanänderungen für einen Notfallsanitäter. Im Wesentlichen ging es um die Frage, ob der Notfallsanitäter in seiner Freizeit auf eine kurzfristige Änderung im Dienstplan für den Folgetag hätte reagieren müssen. Er war in zwei Fällen telefonisch und per SMS und in einem Fall auch per E-Mail nicht zu erreichen gewesen und meldete sich jeweils wie ursprünglich geplant zu seinen Diensten. Der Arbeitgeber wertete das Verhalten seines Angestellten als unentschuldigtes Fehlen und erteilte ihm zunächst eine Ermahnung und dann eine Abmahnung. Der Notfallsanitäter klagte auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte.
Das LAG Schleswig-Holstein hat jetzt zugunsten des Klägers entschieden. Der Arbeitgeber habe damit rechnen müssen, dass der Kläger die ihm geschickte SMS erst mit Beginn seines Dienstes zur Kenntnis nahm. Zu diesem Zeitpunkt sei der Kläger verpflichtet, seiner Arbeit nachzugehen und dazu gehöre auch, die in seiner Freizeit bei ihm eingegangenen dienstlichen Nachrichten des Arbeitgebers zu lesen. Wörtlich heißt es in der Entscheidung: „In seiner Freizeit steht dem Kl. dieses Recht auf Unerreichbarkeit zu. Freizeit zeichnet sich gerade dadurch aus, dass Arbeitnehmer/innen in diesem Zeitraum den Arbeitgeber/innen nicht zur Verfügung stehen müssen und selbstbestimmt entscheiden können, wie und wo sie diese Freizeit verbringen. In dieser Zeit müssen sie gerade nicht fremdnützig tätig sein und sind nicht Bestandteil einer fremdbestimmten arbeitsrechtlichen Organisationseinheit und fungieren nicht als Arbeitskraft. Es gehört zu den vornehmsten Persönlichkeitsrechten, dass ein Mensch selbst entscheidet, für wen er/sie in dieser Zeit erreichbar sein will oder nicht. (…) Der Einschätzung, dass das Lesen der SMS zur Arbeitszeit des Kl. zu rechnen ist, steht der zeitlich minimale Aufwand, der mit dem Aufrufen und Lesen einer SMS verbunden ist, nicht entgegen. Arbeit wird nicht deswegen zur Freizeit, weil sie nur in zeitlich ganz geringfügigem Umfang anfällt. Das Recht auf Nichterreichbarkeit dient neben der Gewährleistung des Gesundheitsschutzes des Arbeitnehmers durch Gewährleistung ausreichender Ruhezeiten (§ 5 I ArbZG) auch dem Persönlichkeitsschutz.“