Kachelmann-Hauptverhandlung - ein (voreiliges?) Fazit
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Es ist in den vergangenen Wochen ein bisschen ruhig geworden um die Hauptverhandlung im Fall Kachelmann, die im Schatten der Guttenberg-Affäre ja immer noch stattfindet. Nun geht es in diesem Verfahren mit den vielen Merkwürdigkeiten in die Endphase der Beweisaufnahme. Heute soll ein Video der Vernehmung einer Schweizer Fotojournalistin gezeigt werden. Diese Vernehmung fand vergangene Woche in der Schweiz statt - das Gericht und die Prozessbeteilighten reisten dorthin. Einige Presseorgane hatten (aus welchen Quellen auch immer schöpfend) diese Zeugin als weiteres mutmaßliches Opfer Kachelmanns dargestellt. Die Staatsanwaltschaft hatte daher dringlich versucht, die Zeugin nach Mannheim zu laden (siehe hier). Sie wollte aber allenfalls in der Schweiz aussagen. Vor der Vernehmung war in einigen Schlagzeilen von einer "Belastungszeugin" die Rede - allerdings kann ja vor einer Aussage nicht feststehen, ob sie überhaupt Belastendes enthält.
Wenn nämlich zutrifft, was Gisela Friedrichsen (dank Leserhinweis: der Bericht stammt nicht von G.F., sondern von "jdl") Spiegel-Online vergangene Woche über diese Vernehmung berichtet hat, dann wird das Video keine Belastung von Kachelmann ergeben. Das Video wird dann vielmehr die Angabe dieser Zeugin enthalten, dass es gar keine Liebesbeziehung zwischen Kachelmann und ihr gegeben habe und dass auch von einem Übergiff Kachelmanns nicht die Rede sein könne. (hier: knappe Angabe des anwaltlichen Vertreters der Vernommenen in einem Schweizer Fernsehbericht). Aber das Video könnte dann - traut man der Quelle - auch ergeben, dass die Mannheimer Staatsanwaltschaft von der Zeugin sogar schon vorab informiert worden war, dass sie den Verdacht, auch sie sei von Kachelmann misshandelt worden, nicht bestätigen werde. Auch dieses Video wird wiederum unter Ausschluss der Öffentlichkeit gezeigt (Quelle).
Ich möchte - trotz der Gefahr der Voreiligkeit und deshalb auch mit aller Vorsicht - ein vorläufiges Zwischenfazit zu diesem Prozess ziehen. Ebenso wenig wie alle anderen (außer zwei Personen) weiß ich, was in der betreffenden Nacht in der Wohnung der Anzeigeerstatterin vorgefallen ist. Aber nach Beobachtung der öffentlich zugänglichen Informationen über den Prozess ergibt sich für mich: In der Hauptverhandlung hat sich kein überzeugender Nachweis dafür ergeben, dass die angezeigte Vergewaltigung stattgefunden hat: Weder Sachbeweise (Messer, Spuren am Körper der Zeugin) noch die Aussage der Anzeigeerstatterin bieten offenbar hinreichende objektive Anhaltspunkte, die einer kritischen Prüfung standgehalten hätten. Zwar kann eine Vergewaltigung "nicht ausgeschlossen" werden, aber wenn dies für eine Verurteilung genügen sollte, dann müssten dazu allg. gültige Maßstäbe der Beweiswürdigung außer Kraft gesetzt werden. Jedenfalls sind die Leumundszeuginnen, mit deren Vernehmung ein Großteil der Hauptverhandlung bestritten wurde, völlig ungeeignet, um den konkreten Tatvorwurf zu belegen.
Vieles spricht deshalb dafür, dass Kachelmann nach der bisherigen Beweislage (also wenn nicht noch überraschend ein ganz neuer Beweis auftauchen sollte) freizusprechen ist. Nun wird von einigen meiner Gesprächspartner (auch aus der juristischen Zunft) geargwöhnt, das Gericht könne, nachdem es sich schon relativ weit aus dem Fenster gelehnt habe und auch wegen seiner teilweise gezeigten Übereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft gar nicht mehr freisprechen.
Doch, das Gericht kann dies tun! Es kann gerade nach dieser Hauptverhandlung auch gegenüber der Nebenklägerin gut argumentieren: Man hat nun wirklich alle Möglichkeiten einer Aufklärung erschöpfend wahrgenommen, man hat alles getan, um ihrer schweren Anschuldigung gegen Kachelmann auf den Grund zu gehen, man hat ihr zunächst trotz ihrer gelegentlichen Unwahrheiten im Kern Glauben geschenkt und Kachelmann sogar inhaftiert, aber letztendlich gilt: Die rechtsstaatlichen Grundlagen des Strafrechts, nämlich dass ein Vorwurf zur Überzeugung des Gerichts mit den erreichbaren Beweismitteln bewiesen sein muss und der Grundsatz "in dubio pro reo", diese Grundlagen des Strafrechts kann auch das LG Mannheim nicht verlassen.
Und man darf auch das Gericht nicht vorverurteilen - warum sollte es sich seine Unabhängigkeit nicht bewahrt haben?
Ergänzung (25.02., 11.30 Uhr): Was die Schweizer Zeugin bekunden könnte oder bekundet hat, ist allerdings weiterhin umstritten, vgl. hier. Ein ausführlicher Bericht über die Beweisaufnahme auf Zeit-Online. Zusätzlich hier ein früherer Bericht über die Ergebnisse zur (angeblichen) "Tatwaffe Messer" im Stern.