Eine verfehlte Gesetzesänderung? - Zur Reform des § 113 StGB (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte)
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, hat die Bundesregierung eine Gesetzesänderung des § 113 StGB verabschiedet und durch den Bundestag gebracht. Frühere Blogbeiträge zum Thema hier und hier. Das 44. Gesetz zur Änderung des StGB ist Anfang November in Kraft getreten. Es ist denkbar kurz ausgefallen: Statt zwei sind nun drei Jahre Freiheitsstrafe die Höchststrafe für den Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, in der Praxis meist Polizeibeamte. Und nun sind Angehörige von Feuerwehr und Rettungsdiensten in den Schutz dieser Norm einbezogen (§ 114 Abs. 3 StGB n.F.). Zudem hat man das Beisichführen einer Waffe als Strafschärfungsmerkmal um die gefährlichen Werkzeuge ergänzt.
Eigentlich gibt es auf den ersten Blick nur wenig daran auszusetzen: Zwar wird die Erhöhung der Höchststrafdrohung in der Praxis nichts ändern – da bei den schwereren Widerstandshandlungen ohnehin noch andere Normen (etwa § 223 StGB) erfüllt sind. Auch wird man allein dadurch keineswegs wohl jemanden von einer Widerstandshandlung abhalten - wer liest schon das Gesetz, bevor er gegen einen Beamten Widerstand leistet? Aber schaden tut die geringe Straferhöhung wohl auch nicht (so etwa der FDP-Politiker Max Stadler in ZRP 2010, 157, hier). Und wenn die Politik damit den Polizeibeamten kostenfrei symbolisch „Solidarität“ zeigt (Dank vom BDK), macht dies ja vielleicht trotzdem Sinn.
Dass die Angehörigen der Feuerwehr und der Rettungsdienste nunmehr auch unter den Schutz des Gesetzes gestellt werden, dagegen wird man wohl auch kaum Einwände haben, oder?
Aber auf den zweiten Blick erscheint doch Vieles ungereimt an dieser Gesetzesänderung – so jedenfalls Singelnstein/Puschke, die sich in der aktuellen Ausgabe der NJW (2011, 3473) ausführlich in einem lesenswerten Beitrag damit befassen (siehe hier)
§ 113 StGB stellt nämlich in seinem Ausgangspunkt auch eine Privilegierung gegenüber dem sonst einschlägigen § 240 StGB dar. Bisher machte sich derjenige geringfügiger strafbar, der Widerstand gegen eine staatliche Vollstreckungshandlung leistete, wegen der Annahme einer besonderen psychischen Situation. Ein Rückgriff auf § 240 StGB (und die bislang höhere Strafdrohung) ist in solchen Fällen gesperrt. Auch die Irrtumsregelungen des § 113 Abs. 3 und 4 privilegieren denjenigen, der sich einer staatlichen Vollstreckungshandlung gegenüber sieht. Das mit dem Tatbestand geschützte Rechtsgut zu benennen ist deshalb außerordentlich schwierig, wie sich an den einschlägigen Kommentierungen zeigt. Die neue Gesetzesfassung gleicht nun den Strafrahmen des § 113 StGB an denjenigen des § 240 StGB an und nimmt daher die Privilegierung (teilweise) zurück, aber fügt durch die Erweiterung des § 114 StGB der schon verwirrenden Schutzgutsuche eine weitere Komplikation hinzu.
Natürlich waren die Rettungsdienste auch schon bisher durch § 240 StGB geschützt. Nur weil die Strafdrohung des § 113 StGB nunmehr erhöht wird, handelt es sich dabei nicht um ein glattes Eigentor des Gesetzgebres. Sobald nicht nur geringfügige Gewalt angewendet wird, wird natürlich ohnehin nach §§ 223, 224 StGB bestraft. Teleologisch ist die Gleichstellung der Rettungsdienste mit Vollstreckungsbeamten allerdings kaum nachvollziehbar, weil der Grund der Spezialregelung in der besonderen Situation bei Vollstreckungshandlungen lag/liegt.
Ohne dass es in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck käme, verändert die Neufassung also den Charakter des § 113 StGB.
In ihrem Fazit formulieren es die beiden oben genannten Autoren in der NJW so:
„Zusammenfassend besehen ergibt die Ausweitung und Verschärfung der §§ 113, 114 StGB kaum Sinn. Aus dogmatischer Sicht hat der Gesetzgeber den Charakter der Normen und ihr Verhältnis zu § 240 StGB weiter verkompliziert."