EuGH: Wiederholte Befristung auch bei ständigem Vertretungsbedarf zulässig
Gespeichert von Prof. Dr. Markus Stoffels am
Die Rechtsprechung des 7. Senats des BAG zum Befristungsrecht sah sich in der Vergangenheit in mehreren Punkten scharfer Kritik ausgesetzt. Die Urteile des Senats seien teils – soweit es um die sachgrundlose Befristung geht - einem rigiden Formalismus verhaftet, teils seien sie – soweit die Sachgrundbefristung betreffend – durch eine die Schutzbedürftigkeit nahezu ausblendende Großzügigkeit gekennzeichnet. Kritisiert wurde insbesondere auch die großzügige Handhabung der sog. Vertretungsbefristung. In der Praxis kommt es auf dieser Grundlage immer wieder zu problematischen Aneinanderreihungen von Befristungen. So war etwa die Klägerin – Frau Kücük - des jetzt in einer EuGH-Entscheidung gipfelnden Ausgangsverfahrens elf Jahre aufgrund von insgesamt 13 befristeten Arbeitsverträgen als Justizangestellte im Geschäftsstellenbereich des Amtsgerichts Köln tätig. Alle Verträge wurden zur Vertretung unbefristet eingestellter Justizangestellter geschlossen, die sich vorübergehend hatten beurlauben lassen. Das BAG (17.11.2010 BeckRS 2010, 75736) hatte zuletzt selbst Zweifel bekommen, ob ein derart weites Verständnis der Vertretungsbefristung mit den Vorgaben der Befristungsrichtlinie 1999/70/EG, die eine Rahmenvereinbarung der europäischen Sozialpartner durchführt, in Einklang steht. Auf ein entsprechendes Vorabentscheidungsersuchen antwortet der EuGH (Urteil vom 26.1.2012, C -586/10, „Kücük“) jetzt wie folgt:
„§ 5 Nr. 1 Buchst. a der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverhältnisse im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge ist dahin auszulegen, dass die Anknüpfung an einen vorübergehenden Bedarf an Vertretungskräften in nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden grundsätzlich einen sachlichen Grund im Sinne dieser Bestimmung darstellen kann. Aus dem bloßen Umstand, dass ein Arbeitgeber gezwungen sein mag, wiederholt oder sogar dauerhaft auf befristete Vertretungen zurückzugreifen, und dass diese Vertretungen auch durch die Einstellung von Arbeitnehmern mit unbefristeten Arbeitsverträgen gedeckt werden könnten, folgt weder, dass kein sachlicher Grund gegeben ist, noch das Vorliegen eines Missbrauchs. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Verlängerung befristeter Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse durch einen solchen sachlichen Grund gerechtfertigt ist, müssen die Behörden der Mitgliedstaaten jedoch im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten alle Umstände des Falles einschließlich der Zahl und der Gesamtdauer der in der Vergangenheit mit demselben Arbeitgeber geschlossenen befristeten Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse berücksichtigen.“
Damit ist das Urteil des EuGH weniger streng ausgefallen als man das erwartet hatte. Diskussionsbedarf löst sicherlich der Missbrauchsvorbehalt aus. Hier könnte es sein, dass die Rechtsprechung des BAG der Korrektur bedarf. Bislang macht das BAG allein die letzte Befristung zum Gegenstand der Kontrolle. Mitunter hat das BAG allerdings auch betont, dass im Falle von wiederholten Befristungen schärfere Anforderungen gestellt werden müssen, dies aber nicht immer konsequent praktiziert. Evtl. könnte dieser Ansatz aufgegriffen und ausgebaut werden.