Politiker kifft im Fernsehen – Verharmlosung wider die Realität
Gespeichert von Dr. Jörn Patzak am
So gut wie jede Zeitung im Land berichtet heute über den FDP-Politiker Martin Lindner, der in der TV-Show „Stuckrad-Barre“ auf Tele 5 an einem ihm angebotenen Joint zog (hier zum Video). Die Kritik hieran hält Herr Lindner für übertrieben. Er wolle für einen „entspannten Umgang“ mit weichen Drogen werben (s. dazu zum Beispiel hier).
Ich halte die (sicherlich sehr werbewirksame) Aktion von Herrn Lindner für fatal. Er suggeriert, dass es sich bei Cannabis um eine harmlose Substanz handelt. Tatsächlich aber hat sich Cannabis in den letzten 20 Jahren stark verändert. Die Qualität des Cannabis ist nämlich extrem gestiegen, wodurch stärkere körperliche Wirkungen beim Konsumenten mit erheblichen Gesundheitsgefahren vor allem bei Jugendlichen auftreten:
1. Entwicklung der Wirkstoffgehalte:
In den letzten 20 Jahren haben die THC-Gehalte im Cannabis vor allem durch die Züchtung von Hochleistungscannabis in Indoor-Anlagen deutlich zugenommen. 1994 lag der durchschnittliche THC-Wirkstoffgehalt von Haschisch bei 5,3 Prozent, der von Marihuana (Blätter und Blütengemische) bei 3,6 Prozent. Im Jahr 2004 wurde bei Haschisch bereits ein Durchschnittswirkstoffgehalt von 9,1 Prozent und bei Marihuana von 9,9 Prozent festgestellt. Dabei ist aufgefallen, dass das Marihuana vermehrt aus Cannabisblüten bestand, weshalb sie ab dem Jahr 2005 gesondert statistisch erfasst werden. Cannabisblüten, auch Dolden oder Pollen genannt, zeichnen sich durch besonders hohe THC-Wirkstoffgehalte aus, da in den Blüten eine hohe Harzdrüsendichte vorhanden ist. In den Ästen und Stängeln der Cannabispflanze befinden sich dagegen nur wenige Harzdrüsen, so dass bei einem Gemisch aus Blüten, Blättern, Stängeln und Wurzel zwangsläufig ein niedrigerer THC-Gehalt festzustellen ist. Im Jahr 2009 hatten die in Deutschland sichergestellten Cannabisblüten, die mittlerweile dem Haschisch und Marihuanagemisch in der Szene fast gänzlich den Rang abgelaufen haben, einen Durchschnittwirkstoffgehalt von 11 Prozent, während das Haschisch bei 8,4 Prozent und das Marihuanagemisch bei 3,4 Prozent lag (Quelle: Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 7. Auflage, Stoffe/Teil 1, Rn. 17: Es handelt sich um Zahlen aus dem Statistischen Auswerteprogramm Rauschgift (SAR) unter Zugrundelegung des arithmetischen Mittels der im gesamten Bundesgebiet sichergestellten Cannabisprodukte [im Gegensatz zum sog. Median- oder Zentralwert, dem aus der Hälfte der Proben errechneten Zahlenwert, der zum Teil in anderen Publikationen angegeben wird]).
Dass bei den Wirkstoffgehalten von Cannabis noch Luft nach oben ist, zeigen die Zahlen aus den Niederlanden im niederländischen Drogenbericht aus dem Jahr 2010. Bei in den Niederlanden angebautem Marihuana wurde ein durchschnittlicher Wirkstoffgehalt von 17,6 Prozent festgestellt, bei Haschisch sogar 19 Prozent (Quelle www.emcdda.eu).
Das zur Entkräftung dieser Entwicklung oftmals vorgebrachte Argument, die Konsumenten würden weniger Marihuana in den Joint mischen, ist Augenwischerei. Diese Hochleistungssorten mit einem entsprechend hohen Preis wurden gerade dazu gezüchtet, besonders starke Wirkungen zu erzeugen. Sie werden daher auch nicht „verdünnt“ konsumiert. Oder anders ausgedrückt: Wenn ich meinen langsamen Kleinwagen mit 60 PS gegen einen teuren Sportwagen mit 400 PS eintausche, tue ich dies sicherlich nicht, um weiterhin langsam zu fahren!
2. Neue Erkenntnisse zu den Gesundheitsgefahren beim Konsum von Cannabis:
Dass dieses THC-reiche Cannabis beim Konsumenten auch stärkere Wirkungen hat als früher, liegt auf der Hand. Dass es auch zu stärkeren Gesundheitsschäden führt, ist mittlerweile in unzähligen Studien belegt worden (zusammenfassend: Schriftliche Stellungnahme von Prof. Dr. Thomasius, Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendaltes (DZSKJ) im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, zur Anhörung vom 25.1.2012 im Gesundheitsausschuss des Bundestages bezüglich des Antrags auf Legalisierung von Cannabis durch Einführung von Cannabis-Clubs). Erst kürzlich kam eine Studie von Madeline Meier von der Duke Universität in den USA zu dem Ergebnis, dass Cannabiskonsum vor allem bei jungen Konsumenten das zentrale Nervensystem unwiderruflich schädigt und zur Senkung des Intelligenzquotienten führt (s. hier).
3. Unbedachte oder gewollte Folge:
All dies lässt Herr Lindner unberücksichtigt. Dabei fordern vor allem die Politiker mehr Prävention im Bereich Cannabis. Tatsächlich bewirkt die Aktion von Herrn Lindner aber das Gegenteil, da Cannabis als harmlos dargestellt wird. Und damit wird mit einem Schlag wirkliche Cannabisprävention zu Nichte gemacht, nämlich die von Drogenberatungsstellen, Polizeibeamten oder Lehrern in unzähligen Informationsstunden über den tatsächlichen Erkenntnisstand von Cannabis für besonders gefährdete Schüler oder Auszubildende.