Schmerzensgeld für nicht indizierte künstliche Ernährung am Lebensende
Gespeichert von Dr. Michaela Hermes, LL.M. am
Ein Fall, der zu Herzen geht. Ein schwerkranker Demenzpatient wird viele Jahre über eine Magensonde künstlich ernährt. Ein Sohn, der in den USA lebt. Ein gerichtlich bestellter Betreuer und ein Hausarzt, die sich nicht umfassend und gründlich über die Situation des Patienten austauschen.
40.000,- € Schmerzensgeld sprach das Oberlandesgericht (OLG) München, Urteil vom 21.12.2017 - 1 U 454/17, dem klagenden Sohn des 2011 verstorbenen Patienten zu. Damit kassiert es in diesem Punkt die Entscheidung des Landgerichts (LG) München, Urteil vom 18.01.2017 – 9 O 5246/14, in erster Instanz. Das LG hatte einen Schmerzensgeldanspruch abgelehnt. Dazu der Beitrag vom 03.02.2017.
Der Fall
Der Vater des Klägers wurde seit 2006 künstlich ernährt. Er war dement, litt an Dekubiti und anderen Krankheiten. Der Kläger war der Auffassung, die Ernährung durch eine Magensonde sei spätestens seit 2010 nicht mehr medizinisch indiziert gewesen. Sie habe das Leiden seines Vaters unnötig verlängert. Er verklagte den Hausarzt und forderte Schmerzensgeld in Höhe von 100.000,-€ und Ersatz der Behandlungs- und Pflegekosten in Höhe von etwa 52.000,-€.
Behandlungsfehler
Beide Gerichte bejahten einen Behandlungsfehler. Das OLG München sagt dazu ausdrücklich in der Pressemitteilung:
Als behandelnder Arzt eines nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten wäre der Beklagte verpflichtet gewesen, die Fortsetzung der PEG-Sondenernährung im Stadium der finalen Demenz oder deren Beendigung mit Umstellung des Behandlungsziels auf rein palliative Versorgung mit der Folge eines alsbaldigen Todes des Patienten besonders gründlich mit dem Betreuer zu erörtern.
Umfassend habe der Arzt den Betreuer hier nicht informiert (§ 1901b Abs. 1 BGB), entschieden der Senat. Das war unstreitig, also auch von Seiten des Arztes zugegeben.
Die Richter stellen aber klar, dass diese vertiefte Informationspflicht nicht bedeute, dass der Arzt verpflichtet gewesen wäre, die Behandlung abzubrechen. Er sei jedoch verpflichtet, so das Gericht, dem Betreuer die Grundlage für dessen verantwortungsbewusste Entscheidung an die Hand zu geben.
Eine unterschiedliche Beweiswürdigung führte zu der unterschiedlichen Entscheidung über den Schmerzensgeldanspruch. Das LG München war nicht überzeugt davon, dass eine Erörterung zwischen Arzt und Betreuer dazu geführt hätte, die künstliche Ernährung einzustellen (§ 1901a BGB). Diesen Nachweis hätte der Sohn führen müssen. Das sei ihm nicht gelungen.
Das OLG sah die Frage, ob sich der Betreuer auch bei umfassender ordnungsgemäßer Erörterung für die Fortsetzung der PEG-Ernährung entschieden hätte, nicht geklärt. Dies wäre zum Nachteil des Arztes zu verwerten. Er sei insoweit beweisbelastet, sagten die Richter.
Vererbbarkeit des Schmerzensgeldes
Der Schmerzensgeldanspruch sei uneingeschränkt vererbbar, entschied das Gericht. Schadensersatzansprüche, die der Kläger wegen der Kosten der Heimunterbringung seines Vaters auch geltend gemacht hatte, wurden abgewiesen. Der Sohn äußert sich dazu am 03.01.2018 in einem Kommentar auf einen Bericht des „Aerzteblattes“ vom 21.12.2017. Für ihn kämen, im Hinblick auf sein teilweises Unterliegen „keine schwarzen Zahlen heraus.“
Praxishinweise
Woody Allen hat es auf den Punkt gebracht: „Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich möchte nur nicht dabei sein, wenn er kommt."
Nicht nur Patienten, auch Ärzte haben Angst vor dem Tod. Sie können ihren Patienten helfen, indem sie ihnen raten frühzeitig mit einer Patientenverfügung vorzusorgen. Hier muss sicher sein, dass diese im Ernstfall greift. 2016 hat der BGH, Beschluss vom 06.07.2016 – XII ZB 61/16 (dazu der Beitrag) entschieden, dass sich eine Patientenverfügung auf konkrete Maßnahmen oder Krankheiten beziehen muss. Pauschal "keine lebenserhaltenden Maßnahmen" zu wünschen, reiche nicht aus, um eine konkrete Behandlungsentscheidung zum Ausdruck zu bringen.