Zur Belehrung eines Festgenommenen mit fremder Staatsangehörigkeit gemäß Art. 36 Abs. 1 lit. a Satz 1 WÜK sowie zur Fortentwicklung der Widerspruchslösung
Gespeichert von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg am
Bis zum Kammerbeschluss des BVerfG NJW 2007, 499 = NStZ 2007, 159 = NJW-Spezial 2007, 89 zur Belehrung eines Festgenommenen mit fremder Staatsangehörigkeit gemäß Art. 36 Abs. 1 lit. a Satz 1 des Wiener Konsularrechtsübereinkommens (WÜK) über sein subjektives Recht, die unverzügliche Benachrichtigung seiner konsularischen Vertretung zu verlangen, kümmerte sich die deutsche Polizei kaum darum, zumal bis dahin der 5. Strafsenat des BGH NStZ 2002, 168 in Anlehnung an Art. 104 GG, §§ 115, 115a, 128 StPO diese Pflicht auf den Richter beschränkt hatte. Das BVerfG hat jedoch klargestellt, dass die Belehrungspflicht alle zuständigen Strafverfolgungsorgane trifft, auch die Polizei, sobald es Anhaltspunkte für eine fremde Staatsangehörigkeit des Beschuldigten gibt.
Das BVerfG hatte zwei nach § 349 Abs. 2 StPO ergangene Beschlüsse des 5. Strafsenats wegen Verletzung der Beschwerdeführer in ihrem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) aufgehoben. Nunmehr hat der 5. Strafsenat mit einem für die amtliche Sammlung vorgesehenen Beschluss vom 25. September 2007 (Az 5 StR 116/01 und 5 StR 475/02 = BeckRS 2007, 1749 = NJW-Spezial 2007, 586 = FD-StrafR 2007, 245500 ) erneut mit folgenden Leitsätzen entschieden:
1. Zur Belehrung eines Festgenommenen mit fremder Staatsangehörigkeit gemäß Art. 36 Abs. 1 lit. a Satz 1 WÜK über sein subjektives Recht, die unverzügliche Benachrichtigung seiner konsularischen Vertretung zu verlangen, sind bereits die Polizeibeamten nach Festnahme verpflichtet (BVerfG – Kammer – NJW 2007, 499 unter Aufhebung von BGHR WÜK Art. 36 Unterrichtung 1).
2. Das Unterbleiben der gebotenen Belehrung über das Recht auf konsularischen Beistand nach Art. 36 Abs. 1 lit. a Satz 1 WÜK führt nicht zu einem Beweisverwertungsverbot.
3. Die Rechtsverletzung kann jedoch zu einer Kompensation der Art führen, dass ein bestimmter Teil der verhängten Freiheitsstrafe als verbüßt anzurechnen ist.
Um an dieser Stelle nur einen Punkt aus dieser wichtigen Entscheidung herauszugreifen: Trotz Ablehnung eines Beweisverwertungsverbots kann der Verstoß gegen die völkerrechtlich verankerten Unterrichtungspflicht grundsätzlich nicht folgenlos bleiben, zumal wenn der Beschuldigte eine erhebliche Bestrafung erfährt und der Verstoß nicht nur (wie im Fall BGH NJW 2007, 3587) kurzfristig fortwirkt. Der Senat nimmt die Kompensation nicht – wie die bisherige Rechtsprechung in den genannten Fällen – durch eine Herabsetzung der verhängten Strafe (Strafzumessungslösung ) vor, sondern in Form des Anspruchs, dass ein zahlenmäßig bestimmter Teil der verhängten Freiheitsstrafe als vollstreckt gilt (Vollstreckungslösung). Der Senat orientiert sich dabei an der auf eine analoge Anwendung des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB, wie sie der 3. Strafsenat NJW 2007, 3294 = NJW-Spezial 2007, 488 im Vorlagebeschluss für Fälle überlanger Verfahrensdauer für vorzugswürdig hält.
Fast zeitgleich hat der 1. Strafsenat NJW 2007, 3587 = NStZ 2008, 55 in einem ebenfalls die Verletzung des Art. 36 WÜK betreffenden Verfahrens die sog. Widerspruchslösung in einer für die Praxis bedeutenden Weise weiterentwickelt, wenn der Widerspruch des verteidigten Angeklagten regelmäßig einer Begründung bedarf, in der zumindest in groben Zügen anzugeben ist, unter welchem Gesichtspunkt der Angeklagte den zu erhebenden oder bereits erhobenen Beweis für unverwertbar hält: „Die Begründung muss die Angriffsrichtung erkennen lassen, die den Prüfungsumfang durch das Tatgericht begrenzt.“ Für die Strafverteidigung bedeutet dies eine künftighin zu beachtende Verschärfung der Rechtsprechung zur Widerspruchslösung! Für künftige Fälle ist also zu empfehlen, nicht nur den Widerspruch rechtzeitig zu begründen, sondern auch die „Angriffsrichtung“ anzugeben.
Experte: VRiOLG v. Heinschel-Heinegg