Freiwilliger DNA-Test wird zum Zwang – wer verweigert, wird beschuldigt?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Blogleser Aloa5 hat in der Diskussion zu einem anderen Thema auf diesen Vorgang in Klein-Gerau hingewiesen.
In einer Mordermittlung (die Tat geschah vor 19 Jahren) waren 200 Männer aufgefordert worden, freiwillig eine Speichelprobe abzugeben. Drei Männer lehnten eine Teilnahme ab. Gegen sie wurde nun als Beschuldigte ein Ermittlungsverfahren geführt und ein DNA-Test gerichtlich angeordnet. Wenn diese Anordnungen, wie es den Anschein hat, ohne weitere Ermittlungsergebnisse allein darauf beruhten, dass diese Männer nicht am Gentest teilgenommen hatten, entspricht dies nicht der Strafprozessordnung, die gerade ein solches Vorgehen nicht zulässt.
Zum Hintergrund: Die Möglichkeit des DNA-Spurenvergleichs hat die polizeilichen Ermittlungen in vielen Fällen vereinfacht. Auch in Altfällen, die man mit den früheren Methoden nicht aufklären konnte, kann jetzt wieder mit Aussicht auf Erfolg ermittelt werden. Aber wenn die Tatortspur beim Vergleich keinen Treffer in vorhandenen DNA-Proben von Verdächtigen ergibt, verfällt die Polizei auf folgende Vorgehensweise: Aus einem größeren oder kleineren Pool von Personen, die grob eine Täterbeschreibung oder ein grobes „Täterprofil" (etwa Alter, Geschlecht, Automarke) erfüllen oder eine Beziehung zum Tatort haben, werden alle aufgefordert, eine DNA-Speichelprobe freiwillig abzugeben. Da gegen diese Personen kein konkreter Tatverdacht besteht, sind sie keine Beschuldigten und dürften nach § 81c StPO ohne ihre Einwilligung nur unter bestimmten Voraussetzungen untersucht werden. Bei Abgabe einer Speichelprobe mit ihrer schriftlichen Einwilligung müssen diese Voraussetzungen allerdings nicht vorliegen, so in § 81h StPO geregelt.
Für die Ermittlungen ist diese Verfahrensweise äußerst hilfreich, weil durch die freiwilligen DNA-Proben der Pool der potentiellen Verdächtigen erheblich reduziert werden kann. Für die freiwilligen Probanden ergibt sich der Vorteil, dass sie ohne unangenehme Befragung einen Verdacht von vornherein ausräumen können. Es ist auch schon vorgekommen, dass sich Täter auf diese Weise selbst „gestellt" haben.
In fast jeder Reihenuntersuchung gibt es Personen, die nicht teilnehmen: Schließlich ist die Teilnahme „freiwillig". bei diesen Personen müsste nun zunächst mit klassischen polizeilichen Methoden ermittelt werden, ob sich ein Verdacht ergibt; wie das geht, sehen wir in jedem "Tatort". Allerdings ist dies nach 19 Jahren äußerst schwierig zu bewerkstelligen..
Staatsanwaltschaften und Polizei sehen das teilweise offenbar anders und wollen sich die Sache vereinfachen: Auf die Nichtteilnehmer wird vorab oder nachher erheblicher Druck ausgeübt, sich dem Test zu unterziehen. Reagieren sie auf den Druck nicht, wird dies als eigenständiger Verdachtsgrund angesehen und eine richterliche Anordnung eines Zwangstests erwirkt.
Der Schluss von der Nichtteilnahme an der Reihenuntersuchung (Massengentest) auf einen Tatverdacht ist aber rechtlich höchst problematisch, da auf diese Weise die Freiwilligkeit unterlaufen wird und für eine Anordnung bei Nichtverdächtigen eben keine Rechtsgrundlage besteht.
Das LG Regensburg hatte vor einigen Jahren die amtsgerichtliche Anordnung einer DNA-Probe bei mehreren Frauen, die einen solchen Massengentest (von insgesamt 1300 Frauen wegen Totschlags an einem Neugeborenen) verweigert hatten, auf ihre Beschwerde hin aufgehoben. Dieser und weitere Fälle von Massengentests in der Vergangenheit sind hier auf wikipedia dokumentiert.
Warum der Anwalt des Beschuldigten in Klein-Gerau seinem Mandanten die „freiwillige" Abgabe der Speichelprobe anriet statt Beschwerde beim LG einzulegen, entzieht sich meiner Kenntnis.