Der deutsch-französische Entführungsfall "Kalinka" wirft interessante Rechtsfragen auf
Gespeichert von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg am
Seit einigen Tagen schlägt der Fall hohe Wellen: Mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem möglicherweise gewaltsamen Tod seiner Tochter Kalinka entführt der Vater den Tatverdächtigen aus Deutschland und verschleppt ihn nach Frankreich, wo er inhaftiert wurde (näher zum Fall SPIEGEL ONLINE). Die Staatsanwaltschaft Kempten stellte seinerzeit das Ermittlungsverfahren ein, in Frankreich kam es zu einer Verurteilung zu einer fünfzehnjährigen Haftstrafe. Allerdings hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt, dass Frankreich mit der in Abwesenheit des Angeklagten erfolgten Verurteilung und ohne die Möglichkeit, ein Rechtsmittel einzulegen, gegen das Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 EMRK verstoßen habe.
Mit den rechtlichen Fragen grenzüberschreitender Entführungen anhand des aktuellen Falls befasst sich der sehr lesenswerte Beitrag von Prof. Dr. Michael Pawlik / Universität Regensburg in der heutigen FAZ Nr. 248 S. 30.
Fälle, in denen eine Person von einem Staat in einen anderen entführt werden (regelmäßig hat der Geheimdienst seine Hände im Spiel) gab es immer wieder, etwa den bekannten Fall Eichmann. In diesen Fällen steigt zwischenzeitlich die Tendenz, ein Strafverfolgungshindernis anzunehmen. In der Sache geht es eben nicht mehr um den alleinigen Schutz der Staatensouveränität, sondern verstärkt auch um den völkerrechtlichen Schutz fundamentaler Menschenrechte.
Wie man liest, will die französische Justiz (entsprechend dem in Deutschland geltenden § 359 Nr. 6 StPO) das Verfahren wieder aufnehmen. Also trotz Entführung kein Strafverfolgungshindernis annehmen.
Das Auswärtige Amt bemüht sich, den verschleppten Mann freizubekommen. Laut SPIEGEL Nr. 44 vom 26.10.2009 S. 44 stehen die Chancen, dass Frankreich den Mann wieder nach Deutschland überstellt, allerdings nicht gut.