BVerfG rügt BAG wegen Verletzung der Vorlagepflicht zum EuGH
Gespeichert von Prof. Dr. Christian Rolfs am
Das BVerfG hat in ein Urteil des Achten Senats des BAG (Urt. vom 21.5.2008 - 8 AZR 84/07, NZA 2008, 573) wegen Verstoßes gegen die verfassungsrechtliche Gewährleistung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) aufgehoben, weil das BAG den Rechtsstreit entgegen seiner Verpflichtung aus Art. 234 EG (seit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon: Art. 267 AEUV) dem EuGH nicht zur Vorabentscheidung vorgelegt hat (Beschluss vom 25.2.2010, 1 BvR 230/09). Mit ungewöhnlich deutlichen Worten kritisiert das BVerfG in dem Kammerbeschluss die Vorgehensweise des BAG und konkretisiert zugleich die Vorlagepflicht in einer Art und Weise, die zukünftig jedenfalls für letztinstanzliche Gerichte eine Anrufung des EuGH in weit mehr Fällen als bisher verpflichtend macht:
Die Vertretbarkeit des Unterlassens eines Vorabentscheidungsersuchens muss daher im Zusammenhang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zu Art. 234 Abs. 3 EG gesehen werden. Hiernach muss ein Gericht seiner Vorlagepflicht nachkommen, wenn sich in dem bei ihm anhängigen Verfahren eine entscheidungserhebliche Frage des Gemeinschaftsrechts stellt, es sei denn, das Gericht hat festgestellt, dass die betreffende Bestimmung des Gemeinschaftsrechts bereits Gegenstand einer Auslegung des Gerichtshofs war oder dass die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - C-283/81 -, Slg. 1982, S. 03415, Rn. 21; Urteil vom 15. September 2005 - C-495/03 -, Rn. 33; Urteil vom 6. Dezember 2005 - C-461/03 -, Rn. 16; stRspr). Davon darf das innerstaatliche Gericht aber nur dann ausgehen, wenn es überzeugt ist, dass auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und für den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die gleiche Gewissheit bestünde. Nur dann darf das Gericht von einer Vorlage absehen und die Frage in eigener Verantwortung lösen (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - C-283/81 -, Slg. 1982, S. 03415, Rn. 16). Denn Art. 234 Abs. 3 EG soll insbesondere verhindern, dass sich in einem Mitgliedstaat eine nationale Rechtsprechung herausbildet, die mit den Normen des Gemeinschaftsrechts nicht im Einklang steht (vgl. EuGH, Urteil vom 15. September 2005 - C-495/03 -, Rn. 29).
In der Sache ging es um die Frage, ob die Massenentlassungsanzeige (§ 17 KSchG) nur dann wirksam ist, wenn im Zeitpunkt ihrer Erstattung Interessenausgleich und Sozialplan (§ 112 BetrVG) bereits abgeschlossen sind. Der Arbeitnehmer hatte diese Rechtsauffassung vertreten und sich dabei u.a. auf die Massenentlassung- und die Konsultationsrichtlinie (RL 98/59/EG und RL 2002/14/EG) berufen. Das BAG war dieser Argumentation nicht gefolgt, ohne zur Auslegung der genannten Richtlinien den EuGH anzurufen.