Kündigung mit zu kurzer Frist künftig unwirksam?
Gespeichert von Prof. Dr. Christian Rolfs am
Bislang entsprach es ständiger Rechtsprechung, dass eine mit "falscher", weil zu kurzer Frist ausgesprochene Kündigung nicht unwirksam ist, sondern das Arbeitsverhältnis zu dem "richtigen", späteren Zeitpunkt beendet (z.B. BAG vom 18.4.1985 - 2 AZR 197/84, NZA 1986, 229, 230; vom 15.12.2005 - 2 AZR 148/05, NZA 2006, 791, 793). Dafür brauchte der Arbeitnehmer aber die dreiwöchige Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG nicht zu wahren. Mit einer verspäteten Klage konnte zwar die Unwirksamkeit der Kündigung nicht mehr gerügt werden, wohl aber die zu kurz gewählte Kündigungsfrist (BAG vom 15.12.2005 - 2 AZR 148/05, NZA 2006, 791 ff.; vom 6.7.2006 - 2 AZR 215/05, NZA 2006, 1405, 1406).
Schon 2006 hatte das BAG aber entschieden, dass dies nur für die Beendigungskündigung gilt. Eine mit zu kurzer Frist ausgesprochene Änderungskündigung sei demgegenüber sozialwidrig und damit unwirksam (BAG vom 21. 9. 2006 - 2 AZR 120/06, NZA 2007, 435, 437).
Eine neues, jetzt veröffentlichtes Urteil des für das Kündigungsrecht eigentlich gar nicht zuständigen Fünften Senats des BAG (vom 1.9.2010 - 5 AZR 700/09, BeckRS 2010, 72996) erweckt nun den Eindruck, dass künftig auch Beendigungskündigungen mit zu kurzer Frist unwirksam sind:
Die beklagte Arbeitgeberin hatte dem Kläger 2008 unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist ordentlich gekündigt, wobei sie wegen § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB Zeiten der Betriebszugehörigkeit des Klägers vor Vollendung des 25. Lebensjahres unberücksichtigt ließ. Mit Urteil vom 19.1.2010 (C-555/07, NZA 2010, 85) entschied der EuGH in der Rechtssache Kücükdeveci, dass § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB gegen das (primärrechtliche) Verbot der Benachteiligung wegen des Alters verstoße und daher nicht angewendet werden dürfe. Der Kläger erhob erst sieben Monate nach Zugang der Kündigung Klage und verlangte die Einhaltung der (längeren) Kündigungsfrist, die sich ohne die Ausnahme des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB für ihn ergab. Der Fünfte Senat wies die Klage überraschenderweise ab:
Bedürfte eine ordentliche, die objektiv richtige Klagefrist nicht wahrende Arbeitgeberkündigung der Umdeutung in eine Kündigung mit zutreffender Frist, gilt die mit zu kurzer Frist ausgesprochene Kündigung nach § 7 KSchG als rechtswirksam und beendet das Arbeitsverhältnis zum "falschen" Termin, wenn der Arbeitnehmer die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung wegen der zu kurzen Frist nicht binnen drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung im Klagewege geltend gemacht hat.
Daraus folgt zweierlei:
- Erstens können Arbeitnehmer, denen in der Vergangenheit mit zu kurzer Frist gekündigt wurde (insbesondere, weil der Arbeitgeber die Unwirksamkeit des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht kannte), nicht mehr die Einhaltung der längeren Kündigungsfrist (und damit Annahmeverzugslohn nach § 615 Satz 1 BGB) verlangen, wenn die Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG bereits verstrichen ist.
- Zweitens sollten Arbeitgeber zukünftig den Kündigungstermin in ihrer Kündigung nicht mehr erwähnen. Ist er versehentlich zu kurz berechnet, könnte daran die Wirksamkeit der gesamten Kündigung scheitern. Sicherer ist es, nur noch "ordentlich zum nächstmöglichen Termin" zu kündigen.