LAG Hamm: Streik kann auch in kirchlichen Einrichtungen zulässig sein
Gespeichert von Prof. Dr. Markus Stoffels am
Das kirchliche Arbeitsrecht ist erneut unter Druck geraten. Hatte der EGMR (hierzu Beck-Blog vom 23.9.2010) erst kürzlich das Recht auf Achtung des Privatlebens gegenüber Kündigungen des kirchlichen Arbeitgebers wegen Wiederverheiratung nach Scheidung gestärkt und damit die bisherige strikte Linie der deutschen Rechtsprechung in Frage gestellt, legt das LAG Hamm (vom 13.1.2011 - 8 Sa 788/10) jetzt die Axt an den sog. "Dritten Weg" der evangelischen und katholischen Kirchen. Dieser sieht für die Beteiligung der kirchlichen Mitarbeiter an der Gestaltung der Arbeitsbedingungen ein eigenes Regelungssystem vor. Über die Vergütung entscheiden paritätisch besetzte Kommissionen. Es werden grundsätzlich keine Tarifverträge geschlossen und Arbeitskampf ist nach dem Selbstverständnis der Kirchen ausgeschlossen. Dafür können sie sich nach ganz h.M. auf das ihnen verfassungsrechtlich verbürgte Selbstbestimmungsrecht berufen (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV). Insbesondere für den Bereich der Diakonie will die Gewerkschaft ver.di dies nicht länger hinnehmen. Einen Teilerfolg hat die ver.di jetzt beim LAG erzielt. Das Gericht hält gewerkschaftlich organisierte Streikmaßnahmen nicht grundsätzlich für ausgeschlossen. Bei der Abwägung zwischen dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht der Kirchen und dem nach Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Streikrecht sei zu berücksichtigen, dass in kirchlichen Einrichtungen auch Arbeitnehmer beschäftigt werden, deren Tätigkeit nicht zum in christlicher Überzeugung geleisteten „Dienst am Nächsten“ zählen. Äußerlich erkennbar werde dies u. a. daran, dass bestimmte Aufgabenbereiche mit Hilfsfunktionen (z. B. Krankenhausküche, Reinigungsdienst) ausgegliedert und auf nicht kirchliche Einrichtungen übertragen werden könnten. Daher sei ein Ausschluss des Streikrechts in kirchlichen Einrichtungen unverhältnismäßig. Der Ausschluss des Streikrechts lasse sich auch nicht dadurch rechtfertigen, dass in kirchlichen Einrichtungen der „Dritte Weg“ beschritten wird. Die Gestaltung der Arbeitsbedingungen durch Beschlüsse der „Arbeitsrechtlichen Kommission“ stelle kein gleichwertiges System zur Regelung der Arbeitsbedingungen nach § 9 Abs. 3 GG dar. Da ⅔ der Arbeitnehmervertreter der „Arbeitsrechtlichen Kommission“ im kirchlichen Dienst tätig sein müssen, könnten hauptamtliche Gewerkschaftsvertreter keinen maßgeblichen Einfluss ausüben. Weitere Einschränkungen gewerkschaftlicher Interessenvertretung erfolgten dadurch, dass sich die Arbeitnehmervertreter aus sämtlichen in der Einrichtung vertretenen Mitarbeitervereinigung zusammensetzen müssen. Daher könne auch die formale Gleichheit der Anzahl von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberstimmen in der Kommission die im Vergleich zum staatlichen Tarif- und Arbeitskampfrecht erkennbare Beschränkung der kollektiven Interessenvertretung nicht ausgleichen. Ob diese Argumentation dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht hinreichend gerecht wird, darf bezweifelt werden. Jedenfalls hat das LAG die Revision zum BAG ausdrücklich zugelassen.