"Mehrjährige Berufserfahrung" altersdiskriminierend?
Gespeichert von Prof. Dr. Christian Rolfs am
Ein Arbeitgeber darf in seiner Stellenausschreibung eine "mehrjährige Berufserfahrung" verlangen, wenn diese für die ordnungsgemäße Erledigung der Aufgaben auf der zu besetzenden Stelle objektiv erforderlich ist. Stellenbewerber, die nicht über diese fachliche Qualifikation verfügen, können mangels objektiver Eignung nicht geltend machen, durch eine Nichtberücksichtigung ihrer Bewerbung diskriminiert worden zu sein. Das hat das LAG Schleswig-Holstein jetzt in einem Prozesskostenhilfe-Verfahren entschieden.
Die Klägerin macht einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG geltend. Sie sieht sich durch die Stellenausschreibung der Beklagten diskriminiert. Dort hieß es u.a.:
Einen idealen Start hast Du mit einem abgeschlossenen Studium in der Medien-/Wirtschaftsinformatik, Informatik oder einer vergleichbaren Fachausbildung. Mehrjährige Berufspraxis in der Programmierung von Online-Shops solltest Du ebenfalls mitbringen.
Fachliche Voraussetzungen:
...
Mehrjährige Erfahrung in der Programmierung mit Java, ...
Die Klägerin, deren Bewerbung ohne Erfolg blieb, ist der Auffassung, sie sei durch die Abfrage ihres Alters und ihres Geschlechts bei der Bewerbung unmittelbar diskriminiert worden. Ferner sei ein Indiz für eine mittelbare Frauendiskriminierung, dass die Stelle nur als Vollzeitstelle ausgeschrieben sei. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass Frauen im IT-Bereich unterrepräsentiert seien. Es sei deswegen auch von einem Fall intersektioneller Benachteiligung auszugehen, was bei der Beurteilung des Sachverhalts berücksichtigt werden müsse. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Der Klägerin fehle die objektive Qualifikation für die Stelle. Ihren Antrag, ihr für die Durchführung des Berufungsverfahrens Prozesskostenhilfe zu gewähren, hat das LAG abgelehnt.
Einem Stellenbewerber fehlt es an der objektiven Eignung für eine Stelle, wenn er die in der Stellenausschreibung verlangte "mehrjährige Berufserfahrung" nicht aufweisen kann, sofern der Arbeitgeber wegen der Anforderungen an die Stelle nachvollziehbarerweise mehrjährige Berufserfahrung verlangt.
In den Gründen des Beschlusses heißt es:
"Ausweislich der Stellenausschreibung hat die Beklagte das Anforderungsprofil für ihre Stelle dahin festgelegt, dass mehrjährige Berufserfahrung in der Programmierung von Online-Shops mitgebracht werden soll. Diese Anforderung erfüllt die Klägerin nicht. Sie mag Kenntnisse in der Programmierung von Online-Shops haben, Berufserfahrung in diesem Bereich hat sie nicht dargelegt. Auch die weiteren fachlichen Voraussetzungen weist die Klägerin nur in Teilen auf. Es fehlt insbesondere die geforderte „sehr gute Projekterfahrung im Bereich Java-Entwicklung“. Auch hier ist die tatsächliche Umsetzung von vorhandenen Kenntnissen verlangt. Die von der Klägerin insoweit absolvierten Weiterbildungskurse können das nicht ersetzen, selbst wenn dort theoretische und praktische Inhalte vermittelt worden sind, wovon auch das Gericht ausgeht. Auch hat die Klägerin nicht die von ihr verlangte mehrjährige Erfahrung in der Programmierung mit Java. Zu ihren Kenntnissen in gängigen Webtechnologien, die weiter gefordert sind, hat sie nicht ausreichend vorgetragen.
Die Klägerin verkennt nach Auffassung des Gerichts, dass zwei gut 14-tägige Fortbildungen eine tatsächliche Berufspraxis und Projekterfahrung oder eine mehrjährige Erfahrung nicht ersetzen können."
(LAG Schleswig-Holstein, Beschl. vom 1.9.2014 - 1 Sa 215/14, BeckRS 2014, 72703)