Warum ist der Fall Tugce zu dem geworden, was er ist?
Gespeichert von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg am
Im Rahmen der Urteilsverkündung – drei Jahre Jugendstrafe wegen Körperverletzung mit Todesfolge – äußerte der Vorsitzende Richter Jens Aßling zunächst sein Mitgefühl gegenüber den Eltern der getöteten Tugce Albayrak und bat um Verständnis für sein Vorgehen im Rahmen der Sachaufklärung in den vergangenen Wochen, das Fragen erfordert habe, die für Angehörige „vielleicht unangenehm“ gewesen seien. Danach sprach er aber auch die Frage an, die letztlich an uns alle gerichtet ist, nämlich „warum gerade dieser Fall zu dem geworden ist, was er ist“? Er kritisierte Medien (Bild-Zeitung „Killer“, „Koma-Schläger) aber auch die Politik, die lange vor Prozessbeginn von einem „brutalem Verbrechen“ gesprochen hatte (diese Formulierung findet sich im Brief des Bundespräsidenten Gauck an die Eltern des Opfers).
Die Rekonstruktion des Tatgeschehens ist nach Einschätzung des Gerichts erheblich durch massive Schuldzuweisungen vor Prozessbeginn erschwert worden. In der Urteilsbegründung ist von „vergifteten“Zeugenaussagen die Rede gewesen, weil Freundinnen des Opfers wie auch Freunde des Täters vor allem durch die Berichterstattung erheblich beeinflusst worden seien.
Dies sollten wir nicht vergessen, wenn demnächst wieder einmal über eine Straftat berichtet wird, bei der die Öffentlichkeit aufgrund der Medienberichterstattung sehr schnell eindeutig gegen den Täter Stellung nimmt.
Den Angehörigen der getöteten jungen Frau gehört unser stark empfundenes Mitgefühl. Mitgefühl kann sehr schnell in Empörung umschlagen – und beides erschwert einem den ausgewogenen Blick auf das Geschehen.