Kirchliches Arbeitsrecht: Provoziert das BAG einen Konflikt zwischen EuGH und BVerfG?
Gespeichert von Prof. Dr. Christian Rolfs am
Der Rechtsstreit dauert nun schon sieben Jahre, und ein Ende ist noch immer nicht absehbar: Dem Kläger, Chefarzt an einem katholischen Düsseldorfer Krankenhaus, war gekündigt worden, nachdem er ein zweites Mal geheiratet hatte. Das stellt, wenn die erste Ehe (auch) kirchlich geschlossen wurde, aus Sicht der Kirche einen schwerwiegenden Loyalitätsverstoß dar. Er berechtigt nach § 5 der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse (in der zum Zeitpunkt der Kündigung geltenden Fassung) zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses.
In einem ersten Urteil hatte das BAG 2011 der Kündigungsschutzklage stattgegeben, weil auch bei Kündigungen wegen Enttäuschung der berechtigten Loyalitätserwartungen eines kirchlichen Arbeitgebers die stets erforderliche Interessenabwägung im Einzelfall zu dem Ergebnis führen könne, dass dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zumutbar und die Kündigung deshalb unwirksam sei. Abzuwägen seien das Selbstverständnis der Kirchen einerseits und das Recht des Arbeitnehmers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens andererseits (BAG, Urt. vom 8.9.2011 - 2 AZR 543/10, NZA 2012, 443). Auf die Verfassungsbeschwerde des Krankenhausträgers hat das BVerfG diese Entscheidung 2014 aufgehoben und den Rechtsstreit ans BAG zurückverwiesen. Das Urteil verletze das verfassungsrechtlich durch Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV verankerte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen (BVerfG, Beschl. vom 22.10.2014 - 2 BvR 661/12, NZA 2014, 1387).
Wer jetzt erwartet hatte, dass das BAG dem BVerfG folgen und die Kündigungsschutzklage abweisen würde, hat die Kreativität der Erfurter Richter unterschätzt. Denn "über" dem BVerfG gibt es ja noch den EuGH, und von dem erhofft man sich in französisch-laizistischer Tradition offenbar eine kirchlichen Besonderheiten weniger gewogene Entscheidung. Und so fragt das BAG jetzt beim EuGH an:
1. Ist Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG) dahin auszulegen, dass die Kirche für eine Organisation wie die Beklagte des vorliegenden Rechtsstreits verbindlich bestimmen kann, bei einem an Arbeitnehmer in leitender Stellung gerichteten Verlangen nach loyalem und aufrichtigem Verhalten zwischen Arbeitnehmern zu unterscheiden, die der Kirche angehören, und solchen, die einer anderen oder keiner Kirche angehören?
2. Sofern die erste Frage verneint wird:
a) Muss eine Bestimmung des nationalen Rechts, wie hier § 9 Abs. 2 AGG, wonach eine solche Ungleichbehandlung aufgrund der Konfessionszugehörigkeit der Arbeitnehmer entsprechend dem jeweiligen Selbstverständnis der Kirche gerechtfertigt ist, im vorliegenden Rechtsstreit unangewendet bleiben?
b) Welche Anforderungen gelten gemäß Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 der RL 2000/78/EG für ein an die Arbeitnehmer einer Kirche oder einer der dort genannten anderen Organisationen gerichtetes Verlangen nach einem loyalen und aufrichtigen Verhalten im Sinne des Ethos der Organisation?
Der Kläger wird derzeit auf seinem bisherigen Arbeitsplatz weiterbeschäftigt. Das Risiko des Annahmeverzugs mochte die Beklagte nicht eingehen.
BAG, Beschl. vom 28.7.2016 - 2 AZR 746/14 (A); Pressemitteilung hier