Die Brennspiritus-Theorie in der Wiederaufnahme - der Mordfall Sabolic
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Der Fall „Sabolic“ aus dem Jahr 2004, der durch ein Wiederaufnahmegesuch von Rechtsanwalt Gerhard Strate nun bekannt geworden ist, lässt aufhorchen: Es geht um eine Frau, die in ihrer Kleingartenlaube in Hamburg durch Feuer ums Leben kam. In den Morgenstunden war das Feuer in dem Raum ausgebrochen, in dem sie sich schlafen gelegt hatte. Brandsachverständige kamen zu der Schlussfolgerung, der Brand sei gelegt worden, indem jemand Brandbeschleuniger (Spiritus) auf die Schlafende geschüttet und sie angezündet habe. Ein Bekannter der Toten, der sich in der Nacht und am frühen Morgen verdächtig verhalten hatte, wurde beschuldigt und wegen Mordes verurteilt. Er habe Bargeld der Toten (etwa 110 Euro) stehlen wollen und die heimtückische Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln zur Ermöglichung dieser Tat begangen. Er wurde vom LG Hamburg wegen Mordes, Raubes mit Todesfolge und Brandstiftung mit Todesfolge zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, die er nunmehr seit gut 13 Jahren verbüßt (LG Hamburg 621 Ks 12/04 vom 2. Februar 2005, anonymisierter Abdruck).
Grundlage des Wiederaufnahmegesuchs ist ein neues Gutachten zur Brandursache und zum Brandablauf, das zumindest erhebliche Zweifel an der Urteilsgrundlage weckt (Quelle). Hier begegnet dem Leser eine schon „altbekannte“ Situation: Insbesondere Sachverständige des LKA Berlin hatten vor ca. zwei Jahrzehnten eine hohe Anzahl von Brandstiftungen durch Brandbeschleunigerspuren festgestellt. Spektakulär war der Freispruch der Monika de Montgazon (hierzu: Stern-Bericht , Beck-Blog-Beitrag), nachdem der BGH das Mord-Urteil des LG Berlin (ebenfalls aus dem Jahr 2004) in der Revision aufgehoben hatte. Die „Spiritus-Theorie“ der Berliner LKA-Sachverständigen, die davon ausging, dass Spuren der Vergällungsmittel 2-Butanon (MEK) und 3-Methyl-2-Butanon (MIPK) eindeutige Hinweise auf den Einsatz von Spiritus als Brandbeschleuniger seien, wurde von einer BKA-Gutachterin damals widerlegt: Beim Verbrennen von Holzverkleidungen, insbesondere Kiefern- und Fichtenholz, können diese Stoffe ebenfalls anfallen. Frau de Montgazon wurde freigesprochen, da man die Brandbeschleuniger-These für widerlegt und einen von einer im Bett gerauchten Zigarette des Opfers ausgehenden Brand für viel wahrscheinlicher hielt.
Der Fall de Montgazon war der bekannteste, aber nicht der einzige Fall, in dem die Widerlegung der Spiritus-Theorie zu neuen Entscheidungen führte. Auch das neue Gutachten im Hamburger Fall, Auftraggeber ist Rechtsanwalt Strate, argumentiert: Hinweise auf Brandbeschleuniger seien uneindeutig oder gar ausgeschlossen, ein völlig anderer Brandverlauf (ebenfalls von einer Zigarette ausgelöst), mit langsamen Schwelbrand, der – etwa durch eine zerberstende Scheibe – in einer Rauchgasexplosion mündet, sei naheliegend.
Da das mit der Wiederaufnahme angefochtene Urteil aus der Zeit stammt, bevor die Berliner „Spiritus-Theorie“ grundsätzlich infrage gestellt wurde, scheint der Weg zur Wiederaufnahme recht offensichtlich: Die neue Tatsache, hier nämlich im Prozess (möglicherweise) noch nicht diskutierte Erkenntnisse dazu, wie Spuren von Vergällungsmitteln zu bewerten sind, bzw. die neuen Beweismittel/Sachverständigen, die darüber Auskunft geben, können nach § 359 Nr.5 StPO die Wiederaufnahme begründen. Die Stichhaltigkeit wird dann in einem neuen Verfahren geprüft und bewertet. Jedes Gericht, das sich schon einmal auf ein Sachverständigengutachten als bei einem Mordvorwurf einziges Beweismittel verlassen hat, müsste hier hellhörig werden: Welchen Einfluss haben neue Erkenntnisse oder auch nicht mehr ganz neue, die aber im Prozess vom Gutachter nicht mitgeteilt oder verwertet wurden? Das Argument, der Sachverständige sei "bewährt und zuverlässig", trifft dann nämlcih nicht mehr zu. Natürlich betrifft dies gerade auch die in Verruf geratene Spiritus-Theorie, die auch hier offenbar ausschlaggebend für den Mordvorwurf war.
Allerdings: Anders als im Fall de Montgazon geht es hier nicht um die Revision, sondern um die Wiederaufnahme, in der sich die Beweislast praktisch umkehrt. Das Wiederaufnahmeverfahren erweist sich wohl auch jetzt als äußerst steiniger Weg. Auch die Hamburger Justiz wehrt sich dagegen, ein längst rechtskräftiges Urteil aufzuheben, worüber die Dokumentation bei Strate Auskunft gibt: Statt die Sache in den Mittelpunkt zu stellen, versuchte das Gericht jüngst, RA Strate auszutricksen und verweigerte ihm praktisch rechtliches Gehör zur staatsanwaltlichen Stellungnahme.
Für den Hamburger Fall Sabolic wird die Frage entscheidend sein, ob es sich bei der Widerlegung der Brandbeschleuniger-These um ein „neues“ Beweismittel handelt. Immerhin war die Erkenntnis, dass die Vergällungsstoffe auch bei Holzverbrennung auftreten, schon viel früher in den USA publiziert worden, und wurde maßgeblich 2003 in einer deutschen Dissertation nachgewiesen, also schon kurz vor dem Prozess. Für Deutschland wird man aber konstatieren können, dass erst das Verfahren de Montgazon (2004 bis 2006) die allgemeine Aufmerksamkeit auch der polizeilichen Brandsachverständigen auf die Problematik gelenkt hat. Das LG Hamburg hat sich im Sabolic-Urteil (2004) jedenfalls nicht mit dieser Frage auseinandergesetzt. Dem LG genügte damals für die Überzeugungsfindung offenbar, dass die (minimalen) Spuren auf die Verwendung von Spiritus „hindeuteten“, wie es laut Stellungnahme der Staatsanwaltschaft in dem schriftlichen Gutachten geheißen haben soll. Dass der Stoff auch in anderen Flüssigkeiten (Lacke, Lösungsmittel) vorkommt, wurde zwar auf Nachfrage der Verteidigung theoretisch bejaht, aber es wurde nicht angesprochen, dass 2-Butanon auch beim Verbrennen von Holz anfällt, was hier beim Brand einer Laube ja naheliegend ist (Quelle: Strate Dokumentation).
(Hinweis: Korrekturen im letzten Absatz am 27.07. eingefügt)