Der im Altpapier gefundene „Richter“ – Diebstahlsobjekt?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Mit einem etwas kuriosen Fall hatte das AG Köln heute zu tun, berichtet wurde auf allen Sendern. (Bericht auf LTO).
Gerhard Richter, einer der weltweit bekanntesten lebenden Künstler, hatte vier Zeichnungen/Skizzen, die seinem eigenen kritischen Blick nicht standhielten, im Altpapier entsorgt. Der Angeklagte hatte diese Zeichnungen „gefunden“ (ob in oder vor der Altpapiertonne, war zuletzt streitig) und zwei davon einem Auktionshaus verkaufen wollen. Dass es sich um echte, wenngleich unsignierte, Richter-Zeichnungen handelte, war wohl unzweifelhaft. Aber die Story des Angeklagten zur Herkunft der Werke, erschien einem Experten, der die Echtheit zertifizieren sollte, nicht plausibel.
Angeklagt war nun Diebstahl, und dies wird wohl demnächst in vielen Vorlesungen Strafrecht Besonderer Teil thematisiert werden. Ähnlich wie schon bei der Wegnahme von Lebensmitteln aus dem Müll von Supermärkten („Containern“) stellt sich die Frage, ob das Aussondern und Werfen in die Altpapiertonne nicht als Aufgabe des Eigentums und Besitzes („Dereliktion“) zu verstehen ist. Bei einer Dereliktion wären die Zeichnungen herrenlos und schieden als Diebstahlsobjekte aus.
Das AG Köln meinte: Nein.
"Auch, wenn die Skizzen neben der Papiertonne lagen, waren sie noch Eigentum des Künstlers", so Richterin P. in der Urteilsbegründung. Indem der Maler die Bilder in den Müll warf, habe er sie "an einen Entsorgungsbetrieb zum Zwecke der Entsorgung übereignet". (Quelle: LTO)
Das Eigentum wäre erst bei Abholung an die Entsorgungsfirma übergegangen. „Herrenlos“ seien die Zeichnungen also nicht gewesen, sondern für den Angeklagten „fremd“ und damit auch geeignete Diebstahlsobjekte, nach Schätzung der Richterin immerhin im Wert von 60.000 Euro. Der Angeklagte wurde zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt.
Die Konstruktion wirkt zwar etwas bemüht, hat aber immerhin für sich, dass mit dem Einwurf ins Altpapier ja die Absicht verknüpft ist, das Papier dem Recycling zuzuführen. Dem Eigentümer ist es also gerade nicht „egal“, was mit dem Papier passiert, er gibt seinen Besitz- und Eigentumswillen keineswegs bedingungslos auf (ebenso, wenn Dinge an eine Organisation gespendet werden, anders möglicherweise bei Müll/Restmüll).
Allerdings erscheint mir die Frage, ob sich der Täter auch über die „Fremdheit“ bewusst war (subj. Tatbestand) damit noch nicht beantwortet. Hat der Angeklagte tatsächlich um die Fremdheit gewusst oder hielt er die Zeichnungen doch für herrenlos? Jedenfalls sorgte eine kleine Umfrage unter meinen nichtjuristischen Bekannten für Kopfschütteln: Die weggeworfenen Zeichnungen sollen wirklich noch in seinem Eigentum stehen? Sie hätten das jedenfalls auch nicht für Diebstahl gehalten. Für den Vorsatz könnte, entgegen der Auffassung der Amtsrichterin, auch die Frage eine gewisse Rolle spielen, ob die Zeichnungen in oder neben der Tonne lagen.
Auch ob nach dem Einwurf in die Altpapiertonne noch Gewahrsam an den Skizzen bestand, kann man zu Recht in Zweifel ziehen (siehe dazu den Kommentar von Björn Engelmann unten).
Aus meiner Sicht ist Kern der vorwerfbaren Handlung nicht der Eigentumsangriff, sondern eher der wirtschaftliche Verwertungsversuch gegen den Willen des Künstlers, der jedoch nach § 106 UrhG („Verbreiten“) ebenfalls strafbar ist. Nach h.M. ist ein vollendetes „Verbreiten“ auch dann zu bejahen, wenn ein Verkaufsangebot keinen Erfolg hatte.
Eine Verortung im Urheberrecht entspräche übrigens wohl auch eher der Tendenz des Künstlers:
Das Atelier des Künstlers teilte über dessen Anwalt mit, dass Richter kein persönliches Interesse an der Verurteilung des Angeklagten habe. "Er würde es sehr begrüßen, wenn die Arbeiten - wie ursprünglich von ihm beabsichtigt - auch tatsächlich vernichtet würden." (Quelle: LTO)
P.S.: Der an das Leben Gerhard Richters angelehnte Spielfilm „Werk ohne Autor“ ist empfehlenswert.
(Hinweis: Der Beitrag wurde am 26.04.2019 ergänzt)