Der Berliner Mietendeckel kommt - rückwirkend. Verfassungsgemäß? Es gibt Zweifel.
Gespeichert von Dr. Michael Selk am
Nun ist es so weit: der Berliner Senat hat heute beschlossen, dass die Mieten in Berlin grundsätzlich ab heute "eingefroren" werden - das wohl Anfang 2020 in Kraft tretende Gesetz soll rückwirkend zum heutigen Tag greifen. Details auch zu den wenigen Ausnahmen (u.a. Erstvermietungen) findet man hier.
An anderer Stelle habe ich hier bereits etwas dazu gesagt, dass der Landesgesetzgeber die Kompetenz haben dürfte, diesen "Deckel" zu schaffen. Formell also sehe ich wenig Probleme. Spannend werden die grundrechtlich relevanten Fragen sein.
So stellt das kommende Landesgesetz sich als neue Inhalts- und Schrankenbestimmung des Art. 14 I GG dar - die Frage der Verhältnismäßigkeit stellt sich hier. Das Gesetz dürfte geeignet und erforderlich sein, um das Ziel, die extreme Wohnraumknappheit in Berlin zu beheben, zu erreichen. Andere mildere Mittel wie etwa eine lange diskutierte Vergesellschaftung gem. Art. 15 GG sind nicht wirklich ersichtlich, insbesondere nicht angesichts der sehr begrenzten finanziellen Möglichkeiten des Senats. Interessant aber ist letztlich die Frage, ob ein Verstoß gegen das Übermaßverbot vorliegt. So soll der "Deckel" für ganz Berlin gelten, obwohl es durchaus Gegenden gibt, wo er u.U. noch gar nicht notwendig ist. Allerdings hat der Gesetzgeber bekanntlich einen erheblichen Gestaltungsspielraum, der letztlich hier noch nicht überschritten sein dürfte. Insbesondere wird man sich die einzelnen Ausnahmetatbestände (was ist etwa mit dem finanziell selbst schlecht gestellten "Kleinvermieter", der kaum oder keine Rendite erzielt?) des Gesetzes genau ansehen müssen. Die Details der Ausformulierung des Gesetzes durch den Senat dürften entscheidend sein.
Erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes habe ich jedoch vor dem Hintergrund des Umstands, dass die Norm rückwirkend in Kraft treten soll (so jedenfalls die Erklärungen am heutigen Tag). Beabsichtigt ist also eine echte Rückwirkung, also ein nachträglich ändernder Eingriff in einen abgeschlossenen Sachverhalt. Eine solche Rückwirkung ist nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG nur in Aunahmefällen zulässig. In Betracht kommt zunächst die Ausnahme des nicht schutzwürdigen Vertrauens des Bürgers, der mit einer solchen Maßnahme rechnen musste - aber sieht man sich die Diskussion der vergangenen Monate dazu an, vor allem auch die um Art. 15 GG rankenden Fragen, war die Einführung des Deckels nicht mit der hinreichenden Sicherheit voraussehbar. Der Senat wird sich vermutlich auf eine andere Ausnahme berufen: danach ist eine echte Rückwirkung zulässig, wenn zwingende Gründe des Gemeinwohls die Rückwirkung erfordern. Das BVerfG betont hier immer wieder den absoluten Ausnahmecharakter vor dem Hintergrund des Eingriffs in den Vertrauensschutz des Bürgers (hier des Vermieters) und spricht teilweise sogar davon, dass "überragende Belange des Allgemeinwohls" erforderlich seien (vgl. BVerfG, Beschl. v. 8.9.2008, 2 BvL 6/03 mwN). Derartige überragende Belange hat das BVerfG nur sehr selten angenommen, und auch vorliegend ist nicht ersichtlich, warum nun gerade der Zeitverlust von einem halben Jahr bis zum Inkrafttreten vor dem Hintergrund des langen Zuwartens des Senats eine echte Rückwirkung erlauben soll.
Die verfassungsrechtlichen Entscheidungen zur angekündigten Norm werden spannend: nach hiesiger Prognose ist aufgrund der echten Rückwirkung das Gesetz verfassungswidrig. Mit Art. 14 I GG allerdings könnte es vereinbar sein.