Ein sorgfältiger Prozessbevollmächtigter muss Pressemitteilungen lesen
Gespeichert von Prof. Dr. Christian Rolfs am
Die Beklagte hat gegen ein Urteil des BAG Anhörungsrüge (§ 78a ArbGG) erhoben. Eine für die Sachentscheidung (BAG, Urt. vom 18.2.2020 - 3 AZR 137/19, AP BetrAVG § 16 Nr. 128) wesentliche Frage sei weder in den Tatsacheninstanzen noch in der mündlichen Verhandlung vor dem BAG erörtert worden. Der Senat habe seine Prozessleitungspflicht verletzt, indem er auf diese Rechtsfrage nicht hingewiesen habe.
Die Anhörungsrüge blieb ohne Erfolg. Die maßgebliche Rechtsfrage habe der Senat bereits in einem anderen Verfahren, 10 Wochen vor dem hier in Rede stehenden Revisionsverfahren, erörtert. Dazu habe das Gericht eine Pressemitteilung herausgegeben. Ein gewissenhafter Prozessbevollmächtigter hätte diese Pressemitteilung gelesen und damit erkennen können, welche rechtlichen Aspekte für den Senat auch in "seinem" Verfahren maßgeblich sein könnten. Er hätte daher Gelegenheit gehabt, entsprechend vorzutragen:
Das Ausgangsverfahren lag hinsichtlich des maßgeblichen Tarifs B gleich wie der vom Senat bereits am 10. Dezember 2019 entschiedene Rechtsstreit - 3 AZR 122/18 -. Zu diesem Urteil ist bereits an diesem Tag - und damit zehn Wochen vor der mündlichen Verhandlung im Ausgangsverfahren - eine ausführliche Pressemitteilung veröffentlicht worden (Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts Nr. 44/19). In dieser war das Problem des Sterbegelds ausdrücklich angesprochen (sechster Absatz am Ende). Wie gewissenhafte und kundige Prozessbevollmächtigte wissen, gibt das Bundesarbeitsgericht bei Entscheidungen zu grundlegenden Rechtsfragen Pressemitteilungen heraus. Ein gewissenhafter Prozessbevollmächtigter prüft, wenn er - wie hier die Prozessbevollmächtigten der Beklagten - ein Revisionsverfahren zur sog. Escapeklausel führt, in dem es auf eine grundlegende Rechtsfrage ankommt, ob bereits Entscheidungen des maßgeblichen Spruchkörpers vorliegen und dazu eine Pressemitteilung veröffentlicht ist. Das gilt umso mehr, wenn Prozessbevollmächtigte, wie diejenigen der Beklagten, ihre Sachkunde bereits öffentlich gemacht haben (vgl. Kielkowski/Schmalz BB 2019, 2420), insbesondere wenn ihnen die betreffenden Aktenzeichen der beim Bundesarbeitsgericht anhängigen Revisionsverfahren zu dieser Frage bekannt sind (...).
Zu ergänzen wäre nur, dass auch hier im BeckBlog zeitnah über dieses Urteil und die Pressemitteilung zu ihm berichtet worden war.
BAG, Beschluss vom 3.6.2020 - 3 AZR 255/20 (F), BeckRS 2020, 12655