Heimliche Tonbandaufnahmen im Gerichtssaal, verspottende Richter ohne Erinnerung - und das Ende vor dem Bundesverfassungsgericht.
Gespeichert von Dr. Michael Selk am
Manche Dinge kann man sich nicht wirklich ausdenken.
Der Sachverhalt:
Mitglieder einer Kammer des Landgerichts Hamburg sollen sich in einer Sitzungspause in spottender Weise über den Beruf des Mieters unterhalten haben. In der nächsten Sitzungsunterbrechung sollen sich die Mitglieder der Kammer mit dem Nebenintervenienten über den Gegenstand des Verfahrens unterhalten und Ratschläge erteilt haben. Die Gespräche der Mitglieder der Kammer hatten die Mieter in den Sitzungspausen aufgezeichnet.
Wem das noch nicht genügt: auf den Befangenheitsantrag hin gaben die Richter der Kammer (311 S des LG Hamburg) in ihrer dienstlichen Erklärung an, sich an keine Einzelheiten der mündlichen Verhandlung erinnern zu können.
Der Befangenheitsantrag wurde sodann vom Landgericht zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss haben die Mieter Verfassungsbeschwerde eingelegt.
Das Bundesverfassungsgericht gab der Verfassungsbeschwerde statt (vgl. Beschl. v. 30.9.2020, 1 BvR 495/19). Art. 101 GG sei verletzt (gesetzlicher Richter). Insbesondere habe das Landgericht nicht einfach im Rahmen der Prüfung der Glaubhaftmachung die Tonbandaufnahme als ungeeignet ablehnen dürfen. Hier hätte es einer Abwägung der wechselseitigen Interessen bedurft, die aber das Landgericht nicht vorgenommen hatte.
Sachverhalt und Entscheidung sind von erheblicher Brisanz. Selbst wenn wir einmal dahingestellt lassen, ob die Mitglieder die Kammer sich verhielten wie im Befangenheitsantrag behauptet - dafür könnte vielleicht das fehlende Erinnern (sic!) sprechen -, so wirft der Fall die hochinteressante Frage auf, ob Tonbandaufzeichnungen im Gerichtssaal jedenfalls zu Beweiszwecken (ggf. auch per iphone!) zulässig sind oder nicht. Viele mag überraschen, dass dies eben nicht ohne weiteres zu verneinen ist; denn mit guten Argumenten lässt sich hören, dass sich gerade z.B. aus § 169 I 2 GVG die Zulässigkeit ergibt. Denn diese Norm regelt nur das Verbot von Ton- und Bildaufnahmen zum Zwecke der Veröffentlichung, so dass im Umkehrschluss vertreten wird, Tonbandaufnahmen zu anderen Zwecken, etwa zum Zwecke der Beweisaufnahme durch eine Partei - die ggf. später Protokollberichtigungsanträge stellen will - seien zulässig. Nimmt man das BVerfG in diesem Beschluss ernst, so wird dies letztlich vielleicht auch eine Abwägungsfrage sein. Generell zu verneinen jedenfalls wäre ein solches Vorgehen wohl nicht.
Persönlich glaube ich übrigens, dass die vermeintlich fehlende Erinnerung an den Vorgang (gem. der dienstlichen Erklärungen...) in Karlsruhe das Fass zum Überlaufen brachte. Vielleicht hätte man sonst die Beschwerde nicht zur Entscheidung angenommen... aber das schon bemerkenswerte Gedächtnis von drei Mitgliedern der Berufungskammer in Mietsachen offenkundig zu Lasten des Mieters, der zuvor auch noch verspottet worden sein soll - irgendwann ist auch in Karlsruhe mal Schluss mit lustig.