Ehemaliger BAMF-Skandal: Ist jetzt alles gut?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Mitten in der zweiten großen Pandemiewelle und im zweiten Lockdown kann man sich tatsächlich noch mit dem ehemaligen BAMF-Skandal und seiner "Beerdigung" durch das Landgericht Bremen beschäftigen, jedenfalls gibt es auch wieder einige Medienberichte dazu.
Knapp: Es sind zwar noch ein paar Vorwürfe zum Hauptverfahren zugelassen, aber der bundesweite Skandal, der im Frühjahr 2018 sogar die Kanzlerin politisch in Gefahr brachte, ist längst auf ein lokales Ereignis geschrumpft (die Links zu meinen früheren Beiträgen finden Sie unten).
Wer sich aktuell informieren will, sollte diesen Panorama-Bericht anschauen: Bremer BAMF-Affäre: Gericht stutzt Anklage zurecht, der die ehemalige Amtsleiterin der Bremer BAMF-Außenstelle Ulrike B. angemessen rehabilitiert. Hauptthema des Beitrags ist die in den Eröffnungsbeschluss eingebundene Kritik des Gerichts an den staatsanwaltlichen Ermittlungsergebnissen. Mein Berliner Kollege Momsen wird dazu interviewt und ich kann ihm ebenso wie dem interviewten Verteidiger Sonnenberg, vollständig zustimmen: Offenbar wurde bei den Ermittlungen mit einer vorgefilterten Brille das Verhalten der Anwälte und das der Behördenleiterin als strafbare „Kollusion“ bewertet, ohne zu berücksichtigen, dass beide Seiten eigentlich das getan haben, was sie tun sollten: Die Anwälte das bestmögliche für ihre Mandanten, die Behördenleiterin die Beachtung der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung. Dass dies (irgendwann) nicht mehr der gewünschten Politik des Innenministers entsprach, kann und darf man ihnen nicht zum (strafrechtlichen) Vorwurf machen.
Aber ich vermisse auch im jetzigen Panorama-Bericht wie auch in der sonstigen Berichterstattung zum ehemaligen Skandal wichtige Punkte, die zur Vollständigkeit der Geschichte dazu gehören und nicht unerwähnt bleiben sollen:
1. Die Suspendierung der Amtsleiterin Ulrike B. erfolgte schon 2016. Die Vorwürfe sind also schon wesentlich älter als der dann in den Medien groß aufgemachte „Skandal“ im April 2018. Auch die Staatsanwaltschaft Bremen hat schon wesentlich länger ermittelt, aber ihr Vorgehen wurde nach meinem Eindruck wohl noch „geschärft“ durch die öffentlichkeitswirksame Berichterstattung. Eine Einstellung des Verfahrens kam dann wohl nicht mehr in Betracht, nachdem man aufgrund des Drucks der Politik und Öffentlichkeit das seit Jahren aufwändigste Ermittlungsverfahren in Bremen durchgeführt hat.
2. Zwar hat die AfD den Skandal (wie nicht anders zu erwarten) zu ihrer Sache gemacht, aber die Angelegenheit zuerst aufgebauscht und „Skandal“ gerufen haben im April 2018 die Journalisten vieler Print- und Rundfunkmedien. Sie haben, anders als nachträglich behauptet, nicht nur sachlich über ein Ermittlungsverfahren berichtet, sondern sind z.T. als Recherchenetzwerk aufgetreten, das einem Riesenskandal auf die Spur gekommen sei. Sie haben u.a. damals einer windigen „Insiderin“ Gehör verschafft, die ihre Hauptaufgabe darin sah, die angeblichen Fehler ihrer schon suspendierten Vorgängerin an die ganz große Glocke zu hängen.
3. Die Medien haben von April bis in den Sommer hinein die Politik vor sich her getrieben mit Korruptionsvorwürfen, die sich bei wirklich kritischer Recherche schon damals als wenig substantiell erwiesen hätten; der NDR spielte zu Beginn eine führende Rolle. Die wesentlichen (und relativ leicht aufklärbaren) Fehlmeldungen habe ich in meinem früheren Beitrag benannt. (Es wäre m.E. vertrauensbildend gewesen, wenn Panorama die anfänglichen Fehler in ihrem neuen Beitrag zumindest angesprochen hätte.)
4. Im Panorama-Bericht wird zwar nachdrücklich die berechtigte Rehabilitation der Ulrike B. betrieben, aber ein anderes politisches Opfer des Skandal-Geschreis, die Leiterin des BAMF, Jutta Cordt, taucht in dem Bericht von Panorama nicht mehr auf.
5. Nicht erwähnt wird im neuen Panorama-Report, dass die Staatsanwaltschaft selbst die ursprünglich erhobenen Vorwürfe (2000 rechtswidrig positive Bescheide) schon um fast 95 % reduziert hatte, und dass bis kurz vor Anklageerhebung wichtige Presseorgane (Spiegel, FAZ) immer noch auf der Skandalflamme kochten.
6. Das Bundesinnenministerium will offenbar bis heute von den Früchten des vom Ministerium (unter Seehofer) kräftig mitgeschürten BAMF-Skandals profitieren. Es wird nicht einmal ansatzweise zurückgerudert. Das halte ich für einen Skandal nach dem Skandal: Pressekonferenz der Bundesregierung vom 18.12. mit dem Sprecher des BMI, Herrn Alter, ab Minute 36:50
Hinweise:
Die Langfassung meines seit Juni 2018 immer wieder aktualisierten Beitrags zur Entwicklung des "BAMF-Skandals", den ich nach wie vor primär als Medienskandal bewerte, finden Sie hier: „Der eigentliche BAMF-Skandal – Rufmord vor Recherche?“
Meinen Blog-Beitrag bei Beendigung des Skandals finden Sie hier: Neues vom Bremer BAMF-„Skandal“ – Verteidigung begründet Zweifel an der Anklage