Nach U-Bahn-Attacke: Offenbar missbräuchliche Öffentlichkeitsarbeit der Berliner Staatsanwaltschaft

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 28.07.2011

Die Problematik staatsanwaltlicher Öffentlichkeitsarbeit in Ermittlungsverfahren war hier im Blog schon mehrfach Gegenstand der Debatte, muss aber nach jetzt in Berlin bekannt gewordenen Umständen erneut diskutiert werden. Wir erinnern uns an den Fall einer brutalen Attacke von angetrunkenen Jugendlichen auf einen erwachsenen Fahrgast auf einem Berliner U-Bahnhof. Das Opfer wurde zu Boden geschlagen und dann vom Angreifer mit Wucht auf den Kopf getreten. Die Empörung in der Berliner und bundesrepublikanischen Öffentlichkeit war groß, zumal es ja auch schon in anderen Städten zu ähnlichen Vorfällen gekommen ist.

Ausgangspunkt für die öffentliche Empörung, die sich bis zu persönlichen journalistischen Attacken auf den Richter fortsetzten, der dem Gesetz gemäß Haftverschonung gewährte (hier die Diskussion im Blog dazu), waren Aufnahmen der Videoüberwachungskamera, die die Staatsanwaltschaft zu „Fahndungszwecken“, also nach § 131 b StPO, an die Presse geleitet hatte.

Nun berichtete die Berliner Abendschau mit entsprechenden Belegen, dass der von der Staatsanwaltschaft weitergegebene Videoausschnitt nicht die ganze Wahrheit zeigt: Vor der brutalen Attacke auf den Erwachsenen gab es schon eine verbale Auseinandersetzung zwischen den Kontrahenten und es ergibt sich der Eindruck, dass das spätere Opfer möglicherweise zuerst zum körperlichen Streit übergegangen ist. Zudem gibt es eine frühere Videosequenz, die das Gesicht des Verdächtigen wesentlich besser zeigt und deshalb zur Identifizierung wesentlich geeigneter ist.  Video der Abendschau.

Die Erläuterung der Staatsanwaltschaft, man habe die „Bewegungsabläufe" des Täters für fahndungsrelevanter gehalten als die Gesichtszüge erscheint mir eine wenig plausible Schutzbehauptung.

Meines Erachtens hat die Staatsanwaltschaft mit diesem Videoausschnitt keinen Fahndungszweck verfolgt, sondern ganz andere Zwecke: Die Öffentlichkeit wurde in einer bestimmten Richtung manipuliert, um die „Stimmung“ anzuheizen.

Mir geht es hier nicht um Schuld oder Unschuld des mittlerweile angeklagten mutmaßlichen Täters oder um "Mitschuld" des Opfers. Die näheren Umstände  hat  das Gericht zu beurteilen.

Es geht mir aber darum, einer um sich greifenden Selbstermächtigung von Staatsanwaltschaften, ihre Ermittlungen in der Öffentlichkeit einseitig zu präsentieren und damit „Werbung“ für ihre Anträge und Entscheidungen zu machen, deutlich entgegenzutreten. Die verkürzte Veröffentlichung war immerhin dazu geeignet,  die richterliche Entscheidung über den Haftbefehl und Untersuchungshaft auf dem Weg über die Öffentlichkeit zu beeinflussen, wenn auch der Richter sich nicht beeinflussen ließ.

Weitere Berichte:

Welt Online

Tagesspiegel

 

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6 Kommentare

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Die Vorgehensweise der StAen in den letzten Jahren ist erschreckend. Ich selbst arbeite in einer Behörde, die mit der Strafverfolgung allerdings wenig zu tun hat. Wenn dort dem Ergebnis von Verwaltungsverfahren vorgegriffen werden würde, wie es die StAen teilweise tun, würde dies ernsthafte dienstrechtliche Konsequenzen haben. Was bei der StA "Öffentlichkeitsarbeit" ist, wäre hier eine Straftat (§ 201 StGB) - und dabei geht es hier um wesentlich weniger aufgeladene Themen als im Bereich des Strafrechts.

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@Prof. Müller

Sie bewegen sich genauso im Bereich der Spekulation wie der Bericht der Abendschau (der dazu noch bei 01:09 behauptet, es habe sogar Forderungen gegeben, Jugendliche ohne Urteil wegzusperren - von wem eigentlich????- und dabei eine Schlagzeile zum Warnschussarrest zeigt; da ist dem Journalisten wohl ein bißchen was durcheinander geraten).

Die Bilder waren offensichtlich im Rahmen der Öffentlichkeitsfahndung (und nicht : der Öffentlichkeitsarbeit) qualitativ gut genug, um den Beschuldigten zu einer Selbststellung zu bringen. Ich denke, dass in einer durch Medienkonsum abgestumpften Gesellschaft vermutlich Zeugen eher auf die Darstellung des Tatgeschehens ansprechen (und Hinweise auf den Täter geben) als durch eine nette Portraitaufnahme.

 

Ihre Behauptung, die Aufnahmen hätten KEINEM Fahndungszweck gedient, ist  schon recht mutig.  Die Spekulation, es sei  "ausschließlich" oder nebenbei der Zweck verfolgt worden, "Stimmung zu machen" (sei es für eine bestimmte Politik oder für das Verfahren oder zur Beeinflussung des Ermittlungsrichters) mag man dem Verteidiger aus dem Filmbeitrag als zum Handwerk gehörendes Klappern zugestehen, eine besonders feinsinnige Analyse ist sie nicht.

 

 

@Jemand:

Sie vergessen, dass es im konkreten Fall zunächst um einen unbekannten Täter ging und die Öffentlichkeitsfahndung nach der StPO eine zulässige Ermittlungshandlung ist, die auch zur Selbststellung geführt hat.  Ihr Verweis auf 201 StGB liegt daher etwas daneben. Dass Prof. Müller die Art und Weise der Öffentlichkeitsfahndung unter  dem Etikett Öffentlichkeitsarbeit kritisiert, ändert daran nichts.

Abgesehen davon lehnen sich auch Verwaltungsbehörden gelegentlich mal etwas weit aus dem Fenster (s. die Rechtsprechung zu behördlichen Warnungen und Empfehlungen), was aber  häufig wegen des schönen "Gefahrenprognose"-Arguments nicht zur Amtshaftung führt.  

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@klabauter,

wenn es darum ging, einen bisher unbekannten Täter zu identifizieren und Menschen, die ihn kennen, dazu aufzufordern, ihn namhaft zu machen (dies ist doch wohl die Intention des § 131 b StPO), dann wäre dazu erforderlich gewesen, das Bild zu zeigen, auf dem man ihn erkennen kann. Dies ist auch wirksamer für den Zweck, eine Selbststellung des Verdächtigen herbeizuführen. Um den Nebenzweck zu verfolgen, den Sie anbringen ("Zeugen sprechen eher auf die Darstellung des Tatgeschehens an"), hätte man dann noch, wenn die Aufklärung mangels Tatzeugen ins Stocken geraten wäre, immer noch solche Bilder veröffentlichen können. Dass man sich entschloss, sofort NUR die letztgenannten Bilder zu zeigen, deutet für mich klar in die Richtung, die ich oben vertreten habe: Der Missbrauch einer Norm zu anderen Zwecken. Die Subsidiarität der Maßnahme wird zudem im Gesetzeswortlaut deutlich: "...wenn die Aufklärung einer Straftat, insbesondere die Feststellung der Identität eines unbekannten Täters auf andere Weise ERHEBLICH weniger Erfolg versprechen oder WESENTLICH erschwert wäre."

Genau. Gemäß Wortlaut: "auf andere Weise". ME besagt dies nichts  über die Subsidiarität der Öffentlichkeitsfahndung  mittels Bild A gegenüber einer Fahndung mittels Bild B, sondern über die Subsidiarität der Öffentlichkeitsfahndung gegenüber anderen Ermittlungsmaßnahmen als eine Öffentlichkeitsfahndung.

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Der StA standen hier - soweit man den Fall als Unbeteiligter kennt - zwei Mittel zur Verfügung:

- Bilder mit geringer Schockwirkung und hohem Wiedererkennungswert und

- Bilder mit hoher Schockwirkung und geringem Wiedererkennungswert.

Ausgewählt wurde der zweite Satz an Bildern.

Die Legalität dessen erst einmal dahingestellt - dass hier offenbar sachfremde Erwägungen eine Rolle spielten, drängt sich auf. Denn warum das weniger geeignete Mittel wählen? Und dies führt gleich zurück zur Rechtsfrage: Wurde hier Ermessen pflichtgemäß ausgeübt? Oder nutzt man das Verfahren zu verfahrensfremden Zwecken?

Dass der Täter sich gestellt hat, ist dabei kein überzeugender Beleg für die Recht- oder Zweckmäßigkeit. Wenn ein Täter nach Androhung von Folter gesteht, beweist das nicht, dass er nicht auch ohne die Drohung gestanden hätte - oder dass die Androhung rechtmäßig gewesen wäre.

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@Jemand:

Das ändert aber offenbar  nichts an der Eignung des "schlechten" Bildes zur Identifizierung/Erhöhung des Fahndungsdrucks mit dem Ergebnis Selbststellung.

Der Vergleich mit Folter liegt wohl etwas neben der Sache, wenn es wie hier um eine gesetzlich zulässige Ermittlungsmethode geht, bei der lediglich im Einzelfall die Frage der Zweckmäßigkeit diskutiert wird. 

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