BGH: Keine unbezifferte Klage auf „angemessene“ Gegenleistung beim Delisting-Erwerbsangebot

von Dr. Cornelius Wilk, veröffentlicht am 09.03.2020

Der BGH hat mit Hinweisbeschluss vom 22. Oktober 2019 (XI ZR 682/18, BeckRS 2019, 32344) seine Ansicht zur Antragsbezifferung und zur Frage, wann für die Gegenleistung auf eine Unternehmensbewertung (anstelle des Referenzbörsenkurses) abzustellen ist, dargelegt.

Kurssprünge und geringe Liquidität im Referenzzeitraum

Im vorliegenden Fall hatte eine börsennotierte Gesellschaft den Widerruf der Handelszulassung ihrer Aktien (sog. Delisting) gemäß § 39 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 BörsG beantragt. Danach ist ein Widerruf u. a. zulässig, wenn er von einem Angebot zum Erwerb aller Aktien begleitet wird. Der Angebotspreis muss dabei grundsätzlich dem Durchschnittskurs in den vorhergehenden sechs Monaten entsprechen (§ 39 Abs. 3 S. 1 BörsG). Nur ausnahmsweise ist stattdessen auf eine Unternehmensbewertung abzustellen, wenn im Referenzzeitraum an weniger als einem Drittel der Börsentage Kurse festgestellt worden sind und mehrere nacheinander festgestellte Börsenkurse um mehr als fünf Prozent voneinander abweichen (§ 39 Abs. 3 S. 4 BörsG). Letzteres war hier der Fall – die Kurssprünge folgten jedoch nicht unmittelbar aufeinander. Der Angebotspreis orientierte sich dennoch allein am Börsenkurs. Ein Aktionär beantragte daraufhin Zahlung einer „angemessenen Abfindung“ in Höhe der Differenz zwischen dem Angebotspreis und einer am Unternehmenswert orientierten Gegenleistung, hilfsweise eine näher bezifferte Summe.

Kein unbezifferter Klageantrag entsprechend § 287 ZPO

Der unbezifferte Antrag ist nach dem Senat bereits wegen fehlender Bestimmtheit unzulässig. Auf die Benennung der Forderungshöhe könne nicht nach den zu Schadensersatzklagen entwickelten Grundsätzen verzichtet werden, da die Bestimmung hier nicht von einer richterlichen Einschätzung abhänge (vgl. § 287 ZPO). § 39 Abs. 3 S. 4 BörsG betreffe eine Gegenleistung, die nach objektiven Merkmalen durch Sachverständige feststellbar sei.

Keine faktische Übernahme des Spruchverfahrens

Auch aus der Historie des § 39 BörsG folge, dass eine Klage auf „angemessene Abfindung“ unzulässig sei. Der Gesetzgeber habe sich mit Schaffung der Norm im Anschluss an die Frosta-Entscheidung des BGH (8. Oktober 2013, II ZB 26/12) bewusst für eine kapitalmarktrechtliche Regelung des Delistings entschieden. Mit Zulassung eines unbezifferten Klageantrags dagegen würde faktisch das Spruchverfahren übernommen, in dem das Gericht die angemessene Gegenleistung bestimmt.

§ 39 Abs. 3 S. 4 BörsG meint nur unmittelbar aufeinander folgende Kurssprünge

Den Hilfsantrag auf Zahlung eines bestimmten Betrags lehnt der Senat als unbegründet ab. Um gemäß § 39 Abs. 3 S. 4 BörsG eine Unternehmensbewertung fordern zu können, müssten mindestens zwei Kurssprünge unmittelbar hintereinander aufgetreten sein. Diese Auslegung entspreche der herrschenden Meinung zur Parallelformulierung in § 5 Abs. 4 WpÜG-AngebV. Die dabei angestellte Erwägung, dass zwei nicht hintereinander liegende Kurssprünge von über fünf Prozent nicht auf Kursverfälschungen hinweisen, sondern bei hoher Volatilität nicht ungewöhnlich sind, gelte erst recht für § 39 Abs. 3 S. 4 BörsG. Denn jener beziehe sich auf eine doppelt so lange Referenzperiode.

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