kein Fernbleiben, kein Verschieben der Abiturprüfung während Covid-19 Pandemie

von Sibylle Schwarz, veröffentlicht am 21.04.2020
Rechtsgebiete: BildungsrechtCorona1|4624 Aufrufe

Die Verwaltungsgerichte Wiesbaden und Berlin hatten sich mit der diesjährigen Abiturprüfung zu befassen. Während der Covid-19 Pandemie beantragten Schüler Freistellung bzw Fernbleiben oder sogar Verschieben der Abiturprüfung. Hier eine Sammlung der bisherigen Gerichtsentscheidungen, zunächst durch Pressemitteilungen mitgeteilt.

Fortsetzung wird folgen.

 

Das Verwaltungsgericht Wiesbaden (Hessen) hat mit Beschluss vom 30. März 2020, 6 L 342/20.WI, entschieden:

Corona-Krise begründet keinen Anspruch auf Freistellung von den Abiturprüfungen

30.03.2020 Pressestelle: VG Wiesbaden

Die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Wiesbaden hat durch Beschluss vom heutigen Tag (Aktenzeichen 6 L 342/20.WI) den Eilantrag einer Schülerin auf Aussetzung der Abiturprüfung abgelehnt.

Nr. 05/2020

In Hessen werden derzeit die schriftlichen Abiturleistungen trotz der Corona-Krise abgelegt. Davon ist auch die Antragstellerin betroffen. Sie beantragte beim Verwaltungsgericht Wiesbaden eine Aussetzung der Klausuren wegen der drohenden Gesundheitsgefährdung.

Die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Wiesbaden folgte dieser Argumentation nicht. Die Antragstellerin könne nicht die vorläufige Aussetzung des Abiturs für alle Schülerinnen und Schüler in Hessen verlangen, weil ihr dafür die Antragsbefugnis fehle. Sie habe auch keinen Anspruch auf die Aussetzung ihrer eigenen Klausuren. Das Hessische Kultusministerium habe durch einen Erlass diverse Hinweise zur Durchführung des Abiturs an alle hessischen Schulen gesendet, denen die allgemeinen Empfehlungen des Robert-Koch-Institutes zugrunde lägen. Darin werde insbesondere ein ausreichender Abstand der Schülerinnen und Schüler sowohl auf dem Schulhof als auch im Prüfungsraum gefordert. Bei der Ableistung der Klausuren sollen die Prüfungsgruppen klein gehalten werden. Außerdem solle ein regelmäßiges Lüften der Räume gewährleistet werden. Die Schule, welche die Antragstellerin besucht, sei diesen Anforderungen nachgekommen. Wenn sich die Mitschülerinnen und Mitschüler der Antragstellerin nicht durchgängig an das Abstandsgebot halten sollten, führte dies nicht zu einem Anspruch der Antragstellerin, ihren Abiturtermin zu verlegen. Abgesehen davon könnte sie es vermeiden, einer Ansammlung von Schülerinnen und Schülern beim Betreten des Schulgebäudes zu nahe zu kommen.

Die Kammer argumentierte weiter, dass die Abiturientinnen und Abiturienten bereits dadurch vor Infektionen geschützt würden, dass die anderen Schülerinnen und Schüler vom Unterricht befreit worden seien. Zudem diene die Schließung der Schule für die anderen Schülerinnen und Schüler nicht dazu, die Ansteckung jedes Einzelnen zu verhindern, sondern dazu, die Erkrankungswelle auf einen längeren Zeitraum zu strecken. Dadurch sollten Risikogruppen geschützt werden. Die Antragstellerin gehöre nach ihrem Vortrag nicht zu diesem Personenkreis. Sie habe daher lediglich einen Anspruch auf Durchsetzung der Hygienemaßnahmen, aber nicht auf einen absoluten Gesundheitsschutz durch die Freistellung von den schriftlichen Prüfungen.

Gegen den Beschluss steht der Antragstellerin binnen zwei Wochen die Beschwerde zum Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel offen.

 

 

Das Verwaltungsgericht Berlin 14. Kammer hat mit Beschluss vom 17. April 2020, 14 L 59.20, entschieden:

Kein Fernbleiben von schriftlicher Abiturprüfung wegen Coronagefahren (Nr. 21/20020)

Pressemitteilung vom 17.04.2020

Eine Berliner Schülerin ist vor dem Verwaltungsgericht Berlin mit einem Eilantrag gescheitert, mit dem sie erreichen wollte, nicht an den ab dem 20. April 2020 angesetzten schriftlichen Abiturprüfungen teilzunehmen.

Die Antragstellerin ist Schülerin und Abiturientin eines Berliner Gymnasiums. Nach dem Willen des Berliner Senats beginnen dort – wie an allen Berliner Schulen – ab dem 20. April 2020 die schriftlichen Abiturprüfungen. Unter Berufung auf etwaige mit den konkreten Prüfungsbedingungen verbundene Gesundheitsgefahren begehrt sie im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes, so lange nicht an den Prüfungen teilnehmen zu müssen, bis sichergestellt sei, dass keine Gefahr der Ansteckung mit dem Coronavirus mehr bestehe.

Der Eilantrag hatte keinen Erfolg. Nach Auffassung der 14. Kammer hat die Antragstellerin keinen Anspruch auf Fernbleiben von den Abiturprüfungen, weil deren Durchführung unter seuchenrechtlichen Gesichtspunkten zulässig sei. Nach der Coronavirus-Eindämmungsmaßnahmenverordnung dürften Prüfungen bei Einhaltung eines Mindestabstands zwischen den anwesenden Personen von mindestens 1,5 Metern durchgeführt werden. Dass diese Abstandsanforderung nicht eingehalten werde, habe die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht. Vielmehr habe die zuständige Senatsverwaltung den Schulen eine Vielzahl von Schutzmaßnahmen vorgeschrieben. Dazu zähle etwa die maximale gleichzeitige Anwesenheit einer Höchstzahl von acht, in Ausnahmefällen zehn Personen pro Prüfungsraum und ein Abstand zwischen den Arbeitsplätzen von sogar zwei Metern. Ferner sollten die Schüler zeitversetzt zur jeweiligen Prüfung eintreffen, und die einer Risikogruppe zugehörigen Schüler sollten einen separaten Prüfungstermin erhalten. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass diese und weitere Vorkehrungen während des Prüfungsgeschehens am Gymnasium der Antragstellerin nicht eingehalten würden. Die Maßnahmen seien nach derzeitiger wissenschaftlicher Erkenntnislage auch hinreichend, weil bereits ein Abstand von mindestens 1,5 Metern zu anderen das Risiko einer Übertragung des Coronavirus deutlich vermindere. Zudem könne die Antragstellerin durch ein infektionsschutzgerechtes Eigenverhalten auch selbst zu einer möglichst risikoarmen Teilnahme am Prüfungsgeschehen beitragen.

Gegen den Beschluss kann Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eingelegt werden.

 

 

Das Verwaltungsgericht Berlin 3. Kammer hat mit Beschluss vom 20. April 2020, 3 L 155.20, entscheiden:

Keine Verschiebung der Abiturprüfung wegen erschwerter Vorbereitung (Nr. 22/2020)

Pressemitteilung vom 20.04.2020

Eine Berliner Schülerin ist vor dem Verwaltungsgericht Berlin mit einem Eilantrag gescheitert, mit dem sie die Verschiebung ihrer unmittelbar bevorstehenden schriftlichen Abiturprüfungen erreichen wollte.

Die Antragstellerin ist Schülerin und Abiturientin eines Berliner Gymnasiums. Nach dem Willen des Berliner Senats beginnen dort – wie an allen Berliner Schulen – ab dem 20. April 2020 die schriftlichen Abiturprüfungen; die erste schriftliche Prüfung der Antragstellerin ist für den 24. April 2020 angesetzt. Sie lebt mit ihren Eltern und einem Bruder in einer Zweieinhalb-Zimmerwohnung, wo sich alle Familienmitglieder seit dem 21. März 2020 überwiegend aufhalten. Die Antragstellerin verfolgt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes das Ziel der Verschiebung der Prüfung unter Berufung auf schwierige häusliche Bedingungen. Ihre Konzentrationsfähigkeit sei durch die von ihren Familienangehörigen ausgehende Geräuschbelastung erheblich beeinträchtigt, sie habe sich wegen der coronabedingten Ausgangsbeschränkungen nicht mit Mitschülern austauschen können, sie verfüge über keinen eigenen PC und sie habe sich schließlich nicht – wie ursprünglich geplant – in einer Bibliothek auf die Prüfungen vorbereiten können. Unter diesen Umständen habe sie bei ihrer Abiturprüfung gegen-über anderen Prüflingen keine chancengleichen Voraussetzungen.

Die 3. Kammer hat den Eilantrag zurückgewiesen. Die Antragstellerin habe keinen Anspruch auf Verschiebung der Prüfungstermine. Sie könne sich für ihr Begehren nicht auf das Berliner Schulgesetz berufen, wonach jede Schule die Verantwortung dafür trage, dass die Schülerinnen und Schüler, unabhängig von ihren Lernausgangslagen, an ihrer Schule zu ihrem bestmöglichen Schulabschluss geführt werden. Denn hieraus folgten keine individualrechtlichen Ansprüche. Die Antragstellerin habe auch nicht glaubhaft gemacht, einen Anspruch auf die Nachholung eines Prüfungsteils zu einem späteren Zeitpunkt auf der Grundlage der Verordnung über die gymnasiale Oberstufe zu haben. Denn dies setze voraus, dass ein Prüfling aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen an der gesamten Prüfung oder an Teilen der schriftlichen oder mündlichen Prüfung nicht teilnehmen könne. Dies sei hier nicht der Fall. Die Antragstellerin könne nicht aus krankheitsbedingten Gründen oder sonstigen persönlichen Umständen nicht an der Prüfung teilnehmen. Der bloße Verweis auf die allgemeine „pandemiebedingte Stresssituation“ reiche hierfür nicht aus. Stress und Ängste im Zusammenhang mit einer Prüfung gehörten in den Risikobereich des Prüflings, es sei denn, dass sie erkennbar den Grad einer – durch ein ärztliches Attest nachzuweisenden – psychischen Erkrankung erreichten.

Das verfassungsrechtliche Gebot der Chancengleichheit gebiete schließlich nichts anderes. Auch wenn die Vorbereitung auf die Abiturprüfungen im Jahr 2020 wegen der Schulschließungen ab dem 17. März 2020 und aufgrund der auch in den Osterferien geltenden Kontaktbeschränkungen unter erschwerten Bedingungen stattgefunden habe, stelle sich die Situation der Antragstellerin nicht als besonderer Ausnahmefall dar. Vielmehr stellten die strengen Regelungen der Länder zur Verhinderung einer weiteren Ausbreitung der Coronavirus-Pandemie viele Familien vor schwierige Herausforderungen. Allen Schülerinnen und Schülern seien aber seit dem 17. März 2020 Vorbereitungstreffen mit Mitschülerinnen und Mitschülern, die Wahrnehmung von Nachhilfestunden und das Lernen außerhalb der häuslichen Umgebung nicht möglich gewesen. Wie auch in anderen Lebensbereichen könnten im Rahmen der Prüfungsvorbereitung unter Geltung der Einschränkungen wegen des Coronavirus jedoch keine identischen Bedingungen gewährleistet werden. Hierzu gehöre auch die Tatsache, dass Schülerinnen und Schüler, die beispielsweise über ein eigenes Zimmer oder einen eigenen Computer verfügen, bessere Bedingungen zur Prüfungsvorbereitung vorfänden als andere. Die Durchführung der Abiturprüfungen 2020 im Land Berlin insgesamt sei schließlich auch dadurch sachlich gerechtfertigt, dass sich die Länder in der Ständigen Konferenz der Kultusminister darauf bundeseinheitlich geeinigt hätten. Dies diene damit letztlich gerade der Wahrung der Chancengleichheit des diesjährigen Abiturjahrgangs gegenüber anderen Abiturjahrgängen.

Gegen den Beschluss kann Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg eingelegt werden.

 

 

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg ist nach Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Berllin angerufen worden. Mit Beschlüssen vom 21. April 2020 – OVG 3 S 30/20, OVG 3 S 31/20 – hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg entschieden:

Berliner Abiturprüfungen können fortgesetzt werden – 17/20

Pressemitteilung vom 22.04.2020

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat zwei Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Berlin bestätigt, wonach die Berliner Abiturprüfungen nicht verschoben werden müssen.

Eine Abiturientin und ein Abiturient hatten geltend gemacht, ihnen sei es während der pandemiebedingten Beschränkungen aufgrund ihrer familiären Situation nicht möglich gewesen, sich zu Hause ordnungsgemäß auf die Abiturprüfungen vorzubereiten. Diese Benachteiligung verstoße gegen das prüfungsrechtliche Gebot der Chancengleichheit. Deshalb müsse ihnen erlaubt werden, die Prüfungen erst zu einem späteren Zeitpunkt abzulegen.

Das Oberverwaltungsgericht hat eine Verschiebung der Prüfungstermine abgelehnt. Es treffe zu, dass die aufgrund sozialer oder familiärer Umstände bereits bestehenden unterschiedlichen Lernbedingungen pandemiebedingt weiter verschärft werden könnten. Derartige individuelle Umstände dürften jedoch ohne gesetzliche Grundlage im Prüfungsrecht nicht berücksichtigt werden, wenn sie der Prüfungsbehörde nicht zuzurechnen seien. Eine Angleichung unterschiedlicher Bildungschancen, um die es hier letztlich gehe, lasse sich nicht im Wege prüfungsrechtlichen Eilrechtsschutzes erreichen. Hier sei vielmehr der Gesetz- und Verordnungsgeber gefragt, entsprechende Maßnahmen innerhalb des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums zu ergreifen.

Im Übrigen bestehe die Gefahr, dass die von den Antragstellern für sie selbst geforderte Verschiebung tatsächlich zu einer Ungleichbehandlung von Abiturientinnen und Abiturienten führe. Eine individuelle Vorbereitungszeit, die jeweils die konkrete Lebenssituation einer Schülerin oder eines Schülers in den Blick nehme, lasse sich durch die Prüfungsbehörden nicht verlässlich ermitteln. Zudem stehe der Senatsbildungsverwaltung bei der Festlegung von Prüfungsterminen ein Gestaltungsspielraum zu, der von zahlreichen Faktoren gesteuert werde.

 

 

 

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Die LTO-Presseschau:

VG Berlin zu Abiturprüfung: Das Verwaltungsgericht Berlin hat einen Eilantrag einer Schülerin zurückgewiesen, die in dem Abiturprüfungstermin eine Verletzung ihrer Chancengleichheit sah. Sie lebe mit ihren Eltern und einem Bruder in einer 2,5-Zimmer-Wohnung ohne ungestörten Lernort, habe nicht wie geplant in einer Bibliothek lernen können, verfüge über keinen eigenen Computer und habe sich nicht mit Mitschülern austauschen können. Das Gericht verwies demgegenüber laut lto.de und taz (Bert Schulz) darauf, dass die Corona-Maßnahmen viele Familien vor Herausforderungen stellten und Stress und Ängste im Zusammenhang mit einer Prüfung in den Risikobereich des Prüflings fielen.

Anna Klöpper (taz) hält das Urteil für richtig, auch wenn es hart wirke. Es sei für die Gerichte schwierig, im Einzelfall zu entscheiden, ab wann eine soziale Härte so groß sei, dass sie einen gerichtlichen Aufschub notwendig mache.

Corona – Abiturprüfung: Die Durchführung von Abitur-Prüfungen trotz der Corona-Pandemie wird nach Auffassung von Rechtsanwalt Arne-Patrik Heinze auf lto.de einige erfolgreiche Anfechtungen zur Folge haben. In den ohnehin schlecht ausgestatteten Schulen, in denen es oft an Seife und funktionierenden Toiletten mangele, sei die Einhaltung der Abstandsregeln und damit der Gesundheitsschutz kaum zu gewährleisten. Den Prüflingen sei zu raten, die Missstände im Vorfeld und während der Prüfung zu rügen und in die Prüfungsprotokolle aufnehmen zu lassen, um der prüfungsrechtlichen Mitwirkungspflicht nachzukommen und sich eine Prüfungsanfechtung offenzuhalten. 

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