Family-Work-Balance für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte: Interview mit Marina Arntzen

von Gastbeitrag, veröffentlicht am 08.06.2023
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Marina Arntzen

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gewinnt sowohl für Bewerberinnen und Bewerber als auch für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte im Berufsleben zunehmend an Bedeutung. Auf die Frage, wie jedoch der (Anwalts-)Beruf erfolgreich mit der Familie in Einklang gebracht werden kann, gab es bislang keine umfassenden Antworten. Marina Arntzen, LL.M., beleuchtet mit ihrem Ratgeber die Thematik der Vereinbarkeit von Beruf und Familie unter zahlreichen Aspekten und zeigt konkrete praktische Hilfestellungen auf, um das individuelle Modell zu finden. Inhaltlich geht es dabei nicht nur um die Vereinbarkeit von Beruf und Elternrolle, sondern auch um die Vereinbarkeit mit der Pflege Angehöriger.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dieses Buch zu schreiben?
Das war ein Prozess. Seit über 10 Jahren bin ich Anwältin im M&A, habe schon zu Studienzeiten in Kanzleien gearbeitet und habe große Freude an meinem Beruf. Darüber hinaus bin ich sehr gerne Mutter. Als ich den Wunsch hatte, eine Familie zu gründen und insbesondere als das erste Kind da war, habe ich überlegt, wie dieser Wunsch am besten mit meinem Beruf vereinbar ist. Die Tätigkeit ist beizeiten sehr arbeitsintensiv und Termine sind nicht weit im Voraus planbar. Irgendwann – im Urlaub an einem schönen erholsamen Ort – ist quasi der „Groschen“ gefallen. Das Zusammenspiel aus mehreren Ebenen kann aus meiner Sicht am besten zu einem Gelingen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie beitragen:

  • die individuelle Ebene der persönlichen Entscheidungen, Organisation und Flexibilität – der eigenen und der gemeinsamen in der Partnerschaft
  • die Ebene der Kanzleien mit einer zeitgemäßen Arbeitskultur, Flexibilität und der Möglichkeit unterschiedlicher Arbeitsmodelle
  • die gesellschaftlich-politische Ebene für strukturelle Rahmenbedingungen

Wenn auf diesen drei Ebenen jeweils die Voraussetzungen und Maßnahmen stimmen, kann die Family-Work-Balance gelingen und es ist möglich, das individuell passende Modell zu finden. Im Rahmen der Initiative breaking.thorugh, die u.a. Vorbilder für Juristinnen (und Juristen) sichtbar macht und bei der ich ehrenamtlich die Ratvermittlung leite, habe ich festgestellt, dass viele sich immer noch mit der Frage beschäftigen, insbesondere mit Blick auf den Anwaltsberuf, ob sie sich zwischen Beruf/Karriere und Kindern entscheiden müssen. Das finde ich persönlich sehr schade. Mein Wunsch ist daher, dass mein Buch einen kleinen Beitrag dazu leistet, Impulse, Ideen und Modelle aufzuzeigen, wie Vereinbarkeit gelingen kann.

Wie gelingt eine Balance aus Familien- und Berufsleben aus Ihrer Sicht?
Bei mir gelingt die Balance von Familie und Beruf häufig, weil ich beruflich in einem hervorragenden Team arbeiten darf. Auch zu Hause sprechen mein Mann und ich uns regelmäßig ab, halten uns gegenseitig den Rücken frei und haben viele unterstützende Hände, die uns helfen. Darüber hinaus bin ich sehr gerne Mutter und mag meinen Beruf. Gelassenheit, Energie, Flexibilität sowie Organisation helfen mir außerdem dabei, die täglichen neuen Herausforderungen zu meistern.

Sie sagen, dass ein wichtiger Faktor auch ist, Freude an dem zu haben, was man macht. Was macht Ihnen besonders Spaß an Ihrer Tätigkeit als Anwältin im Bereich Corporate/M&A?
Jeder Tag ist bunt und hält Überraschungen parat. Ich mag den Fachbereich sehr gerne. Er ist spannend, dynamisch und wirtschaftlich. Die Mandanten erwarten pragmatische Lösungen und ich mag die Arbeit in großen und auch internationalen Teams, mit Personen aus unterschiedlichen Fachbereichen und mit interdisziplinären Teams, die beispielsweise bei cross-border Transaktionen nötig sind. Darüber hinaus ist die Anwaltstätigkeit facettenreich. Neben der Mandatsarbeit hat man auch die Möglichkeit über den „Tellerrand“ zu schauen und zum Beispiel Vorträge zu halten, fachbezogene Veröffentlichungen zu schreiben oder sich in anderen Bereichen zu engagieren.

Sie haben für die Vorbereitung des Buchs viele Interviews mit Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten geführt, die bereits ein funktionierendes Modell gefunden haben, um Familie und Beruf zu vereinbaren. Was ist die "Best Practice" aus den Interviews?
In den Interviews ist mir aufgefallen, dass die einheitliche "Best Practice" und auch mein persönliches Fazit zu dem Thema Vereinbarkeit ist, dass jede/jeder sich auf den Weg begeben hat, um das eigene Modell zu finden, das zu der jeweiligen Lebensphase am besten passt. In den gelungenen Beispielsfällen jonglieren die betreffenden Personen gerne und haben Spaß an dem, was sie machen. Sie kennen ihre eigenen Ziele sehr gut, sind resilient, sorgen für sich selbst, sind sich ihrer Stärken, Schwächen und Grenzen bewusst und stimmen sich in der Partnerschaft gut ab. Das bedeutet, sie ergänzen sich gegenseitig, sind sich klar darüber, welche Rolle und Aufgaben sie als Eltern haben möchten und sehen auch das Weiterkommen im Beruf als Gemeinschaftsprojekt an. Darüber hinaus sind sie auch bereit, Hilfe von anderen – Freunden, Familie oder Babysittern – anzunehmen. Nicht zu vernachlässigen ist sicherlich auch, dass die meisten den Mut haben, ihren eigenen Weg zu gehen, der für sie am besten ist – ungeachtet davon, was andere meinen.

Was ist Ihr Ratschlag für (angehende) Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die nicht wissen, wie sie die Tätigkeit in der Kanzlei und das Familienleben vereinbaren sollen?
Einfach mal ausprobieren. Mutig sein. Es kann nicht mehr passieren, als dass man nach dem Ausprobieren um eine Erfahrung reicher ist und sich möglicherweise anders orientiert. Darüber hinaus empfehle ich, sich zu vernetzen, sich mit anderen auszutauschen und dann Stück für Stück das eigene Modell zu entwickeln und selbst zu gestalten.

Was wünschen Sie sich zum Thema Family-Work-Balance für die Zukunft?
Selbstverständlichkeit. Es soll keine/keiner den Eindruck haben, sich für das gewählte Modell entschuldigen oder rechtfertigen zu müssen. Ich wünsche mir, dass es noch mehr Vorbilder gibt, sowohl männliche als auch weibliche. Und dass insbesondere die jüngeren Generationen sich nicht mehr fragen werden, wie sie Familie und Beruf vereinbaren können, sondern sie damit aufwachsen, dass es natürlich gelingen kann – wenn sie möchten.

Vielen Dank für das Gespräch.

Marina Arntzen, LL.M.
Rechtsanwältin
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Weitere Informationen finden Sie in der beck-aktuell Podcast-Folge:
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