Verschärfte Aufklärungspflicht von Immobilienverkäufern - BGH BeckRS 2023, 24630 (Urt. vom 15.9.2023, V ZR 77/22)

von Dr. Michael Selk, veröffentlicht am 29.10.2023
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtWirtschaftsrecht|1314 Aufrufe

Der Sachverhalt, vereinfacht dargestellt:

V verkauft an K für über 1,5 Millionen Euro Gewerbeeinheiten. Im Kaufvertrag versicherte V, dass keine Beschlüsse gefasst seien, aus denen sich eine künftig Sonderumlage ergebe und nach ihrer Kenntnis keine außergewöhnlichen Sanierungen bevorstehen, deren Kosten durch die Instandhaltungsrücklage nicht gedeckt sind. Weiter hieß es im Vertrag, V habe K Protokolle der Eigentümerversammlungen der vergangenen drei Jahre übergeben, und K kenne den Inhalt der Unterlagen.

Im Rahmen der Kaufvertragsverhandlungen erhielt K Zugriff auf einen von V eingerichteten virtuellen Datenraum, der verschiedene Unterlagen zu dem Kaufobjekt enthielt. Am Freitag, dem 22.3.2019, drei Tage vor dem notariellen Vertragsschluss, am 25.3.2019, stellte V dort das Protokoll einer Eigentümerversammlung aus dem Jahr 2016 ein, aus dem sich ergab, dass auf K Kosten von bis zu 50 Millionen Euro für die Instandhaltung des Gemeinschaftseigentums zukommen könnten.

K erklärt die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung, vorsorglich den Rücktritt vom Kaufvertrag und verlangt Schadensersatz.

Das OLG Celle (Vorinstanz Berufung) hatte die Verantwortung noch bei K gesehen und die Klage abgewiesen. Der V. Zivilsenat des BGH sieht es anders, hebt das Urteil auf und verweist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG Celle zurück. Anders als das OLG meint der Senat, dass V der Aufklärungspflicht nicht genüge tat, indem V die Unterlagen drei Tage  (einen Werktag!) vor der Beurkundung in den Datenraum stellte. Am letzten Arbeitstag vor dem Notartermin habe K nicht mehr damit rechnen müssen, dass weitere Unterlagen in den Datenraum gestellt werden würden. Der Senat betont erneut, dass es in diesen Fällen auf alle Umstände des Einzelfalls ankomme.

Die Entscheidung des Senats ist zutreffend - und sehr ausführlich begründet, ein Nachlesen lohnt sich. Ergänzend: bei Verbraucherverträgen ergibt sich die Wertung schon aus § 17 IIa BeurkG, wonach der zu beurkundende Vertrag mindestens zwei Wochen vor der Beurkundung dem Käufer als Entwurf vorzulegen ist. Zwar handelt es sich bei den Parteien des Rechtsstreits, über den der BGH zu entscheiden hatte, um Unternehmer, für die § 17 IIa BeurkG nicht gilt. Dennoch wird man aus der Norm ein gewisses Argument dafür herleiten können, dass auch ein Unternehmer vor einer Überrumpelung geschützt werden muss.

Aus der Entscheidung folgt auch, dass Verkäufer die Due Diligence sorgfältiger vorbereiten, umsetzen und aufklären müssen. Die jetzige Praxis ist eine andere - oft werden noch in der letzten Minute Unterlagen nachgeschoben. Damit ist es - nimmt man die Entscheidung aus Karlsruhe ernst - vorbei.

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