Fehlverurteilung wegen Totschlags – und was sagt die Staatsanwaltschaft?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Im März dieses Jahres wurde die Leiche des seit 2001 vermissten Landwirts Rudi R. in Neuburg aus der Donau geborgen. Drei Monate später (!) liegt nun das endgültige Gutachten der Gerichtsmedizin vor: Nichts deutet auf eine Fremdeinwirkung, die zum Tode des R. führte. Angehörige des R. sind 2005 wegen Totschlags zu inzwischen vollstreckten Jugendstrafen und Freiheitsstrafen von 8 Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Sie hatten in - nicht näher polizeilich dokumentierten - Geständnissen angegeben, den Bauern erschlagen, dessen Leiche zerlegt und sie den Hunden zum Fraß gegeben zu haben. Die Geständnisse wurden vor der Hauptverhandlung widerrufen. Obwohl keinerlei Sachbeweise vorlagen, die die Geständnisversion stützten (insbesondere keinerlei Spuren der angeblichen Leichenzerteilung), wurden die Angeklagten verurteilt.
Nur ein Detail aus der Hauptverhandlung, wie es damals im Donaukurier geschildert wurde:
„Schwierig gestaltete sich gestern die Vernehmung des Mitarbeiters eines Schrotthändlers, in dessen Betrieb im Donaumoos laut Anklage der Mercedes des verschwundenen Bauern nach dem Verbrechen entsorgt worden war. Der 37-Jährige hatte das bei einer polizeilichen Anhörung zunächst bestätigt, wollte von dieser Aussage vor Gericht aber nichts mehr wissen. „Ich bin unter Entzug gestanden und hab irgendwas erzählt", erklärte der alkoholkranke Mann. Die Angst, seinen Chef zu belasten, war ihm förmlich anzusehen, denn dem Schrotthändler fühlt er sich verbunden: „Er ist der einzige Mensch, der mir geholfen hat", sagte er und berichtete, wie der Mann ihm nach einem Gefängnisaufenthalt aufgenommen und ihm einen Arbeitsplatz angeboten hatte. Erst als Vorsitzender Georg Sitka und Oberstaatsanwalt Christian Veh mit der Festnahme wegen Falschaussage drohten, räumte der 37-Jährige ein, dass in der fraglichen Nacht tatsächlich ein Mercedes im Schrotthandel seines Chefs beseitigt worden war."
Es geht um den Mercedes, den man einige Jahre später mitsamt dem gewaltlos zu Tode gekommenen Rudi R. aus der Donau geborgen hat. Aber der Vorsitzende Richter und der Oberstaatsanwalt waren sich ihrer Sache so sicher, dass sie dem Zeugen mit Strafverfolgung drohten und ihn offenbar auf diese Weise tatsächlich (fahrlässig) zu einer Falschaussage nötigten. Aber vielleicht ist ja im Schrotthandel (zufällig) ein anderer Mercedes beseitigt worden. Auch über das damalige Plädoyer von OStA Veh (er forderte lebenslange Freiheitsstrafe für die beiden erwachsenen Angeklagten) berichtete der Donaukurier ausführlich.
Dies soll aber nicht der Inhalt meines Beitrags sein, denn niemand ist vor Irrtümern gefeit.... Thema des Beitrags soll die erstaunliche Nonchalance sein, mit der jetzt von Seiten der Staatsanwaltschaft auf ein von ihr mit zu verantwortendes Fehlurteil reagiert wird. Wenn stimmt, was Spiegel Online schreibt (hierauf ist allerdings ja nicht immer Verlass), dann hat die Staatsanwaltschaft so reagiert:
"Die Akten liegen uns bereits vor. Wir prüfen derzeit die Anträge der Pflichtverteidiger auf Prozesskostenhilfe. Wenn die gestattet werden, rechnen wir mit den Anträgen auf Wiederaufnahme", sagt Peter Pöhlmann von der Staatsanwaltschaft Landshut SPIEGEL ONLINE."
Alles deutet darauf hin, dass hier ein Fehlurteil vorliegt, und der zuständige Staatsanwalt wartet das Prozesskostenhilfeverfahren ab? Und Helmut Walter, Leitender Oberstaatsanwalt von Ingolstadt, der zuvor zuständigen Staatsanwaltschaft, hält
„die Falschgeständnisse für "verwunderlich". "Der Fall ist sicher ungewöhnlich", sagt der Chefermittler SPIEGEL ONLINE. Eine Wiederaufnahme allerdings sieht er nicht als selbstverständlich und hält an den Tatvorwürfen fest."
Auch wenn die Wirklichkeit dem Urteil widerspricht, muss man am Urteil festhalten? Ist es so schwierig, einen Irrtum einzugestehen und das zu tun, was Wahrheitsfindung und Recht gebieten?
Einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens kann auch die Staatsanwaltschaft stellen (§§ 360, 365, 296 StPO). In einem Fall wie diesem, bei dem offenkundig Menschen zu Unrecht bestraft wurden, weil nun die tatsächlichen Urteilsgrundlagen durch neue Tatsachen falsifiziert werden, verdichtet sich das Antragsrecht m. E. zu einer Pflicht - jede staatliche Gewalt unterliegt schließlich dem Rechtsstaats"gebot". Erst Recht in einem Fall, in dem man vorab offenbar versäumt hat, entlastende Anhaltspunkte zu ermitteln oder angemessen zu würdigen. Auch die sofortige Unterbrechung der Vollstreckung nach § 360 Abs.2 StPO kann gerichtlich angeordnet werden (sofern die Verurteilten noch inhaftiert sind) , um das Wiederaufnahmeverfahren ohne weitere Rechtsverletzungen durchzuführen...
Zur Kriminologie von Falschgeständnissen möchte ich zu einem späteren Zeitpunkt noch einen Beitrag einstellen, aber auch dazu wurde schon im blog diskutiert.