Spontanversagen des beA
Gespeichert von Prof. Dr. Christian Rolfs am
Ach ja, die Digitalisierung. Sie macht alles so einfach, schnell und leicht - wenn sie denn funktioniert. Wenn nicht, wird es kompliziert, langsam und schwer. Das musste jetzt eine Klägerin erfahren, die sich gegen eine Kündigung gerichtlich zur Wehr gesetzt hatte. Erstinstanzlich hatte ihre Klage beim ArbG Lübeck keinen Erfolg. Für die zweite Instanz nahm sie sich einen anderen Rechtsanwalt, der die Berufung erst 23.45 Uhr des letzten Tages der (bereits gerichtlich verlängerten) Berufungsbegründungsfrist elektronisch zu übermitteln versuchte. Nach erfolgreicher Signatur, so trug er vor, habe die verwendete Software die Safe-ID des LAG Schleswig-Holstein nicht ermitteln können. Erst nach ca. acht Versuchen sei dies gelungen. Die Übermittlung - Sie ahnen es - erfolgte dementsprechend erst nach Mitternacht.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand blieb ohne Erfolg:
Es sei bereits höchstrichterlich geklärt, dass ein auf einen vorübergehenden „Computerdefekt“ oder „Computer-Absturz“ gestützter Wiedereinsetzungsantrag näherer Darlegungen zur Art des Defekts und seiner Behebung bedürfe. Ein einen Bedienungsfehler ausschließendes, auf einem technischen Defekt beruhendes Spontanversagen eines Faxgeräts sei nicht hinreichend glaubhaft gemacht, wenn vor und nach dem erfolglosen Versuch der Übermittlung eines Schriftsatzes erfolgreiche Übermittlungen an die jeweiligen Empfänger stattgefunden hätten, ohne dass zwischenzeitlich eine technische Wartung oder Reparatur erfolgt sei. Diese Maßstäbe gölten in gleicher Weise bei einer Übermittlung fristgebundener Schriftsätze über das beA:
Es besteht keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass den Prozessbevollmächtigten kein Verschulden trifft. Die Möglichkeit, dass ein Fehler in der Bedienung des Programms vorliegt, ist mindestens so wahrscheinlich wie das von der Kl. behauptete spontane Auftreten eines Softwarefehlers, der sich nach ca. einer halben Stunde ohne weitere Maßnahmen des Prozessbevollmächtigten der Kl. von selbst behoben hat. Der Vortrag der Kl. gibt ausschließlich die eigenen Wahrnehmungen ihres Prozessbevollmächtigten wieder. Dabei kann ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die Adresse des LAG Schleswig-Holstein von der Software nicht automatisch erkannt worden ist. Unter anderem hierfür ist ja gerade die Möglichkeit der manuellen Adresssuche vorgesehen. Zu dieser manuellen Suche fehlt es jedoch an konkretem Vortrag der Kl., außer dass diese wiederholt vorgenommen worden sei. … Objektive Angaben zu den Eingaben in das Programm fehlen. Ein Screenshot ist nicht vorgelegt, der durch Anzeigen der Bildschirmoberfläche die Eingaben des Prozessbevollmächtigten und die Reaktion der Software belegt. Die Erstellung eines Screenshots hätte jedenfalls, wenn der Prozessbevollmächtigte den Vorgang sieben- bis achtmal wiederholt hat, auch nahegelegen, um die Fehlerhaftigkeit der Software zu dokumentieren. … Aus Sicht des Gerichts ist ein Bedienfehler überwiegend wahrscheinlich. Nach eigenem Vortrag der Kl. hat das beA ihres Prozessbevollmächtigten am selben Tag bereits vor der Versendung dieses Berufungsbegründungsschriftsatzes funktioniert. … Auch nach Auftreten des Fehlers ist die Versendung ordnungsgemäß erfolgt. … Ausführungen dazu, dass irgendwelche Änderungen in den Systemeinstellungen oder sonstige Maßnahmen ergriffen wurden, um den Fehler zu beheben, hat die Kl. nicht vorgetragen. Es ist aber unwahrscheinlich, dass eine Software sich ohne weiteres Zutun von selbst repariert. Wesentlich näher liegt hier die Annahme eines Fehlers bei der Eingabe. Für ein „Spontanversagen“ gibt es keine plausible Erklärung.
LAG Schleswig-Holstein, Beschl. vom 8.4.2021 - 1 Sa 358/20, NJW 2021, 2308