Loveparade 2010 - fünf Monate danach: Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen werden konkretisiert
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Achtung: Dieser Beitrag stammt aus dem Dezember 2010. Der aktuelle Beitrag von Juli 2015 befindet sich hier:
http://blog.beck.de/2015/07/24/f-nf-jahre-und-kein-ende-die-strafverfolg...
Mittlerweile ist es fünf Monate her, dass bei der in Duisburg veranstalteten Loveparade 21 Besucher ums Leben kamen, da sie auf dem Weg auf das (bzw. von dem) Veranstaltungsgelände in ein tödliches Gedränge gerieten. Diese 21 Besucher erlitten Quetschungen und erstickten in der unkontrollierbaren Massenturbulenz, viele andere erlitten zum Teil schwere Verletzungen.
Nach fünf Monaten intensiver Ermittlungen werden nach Presseberichten die staatsanwaltlichen Ermittlungen nun nicht mehr gegen unbekannt, sondern gegen bestimmte Beschuldigte geführt, wobei aus der Stadtverwaltung Duisburg und aus der Firma des Veranstalters mehrere Personen verdächtigt werden sollen, zudem stehe auch ein leitender Polizeibeamter unter Tatverdacht (Quelle).
Dies würde weitgehend die hier vor einigen Monaten angestellten Überlegungen bestätigen, nämlich dass bei Planung und Genehmigung gravierende Fahrlässigkeiten begangen wurden, die im zurechenbaren Zusammenhang mit den Todesfällen stehen. Zudem können auch der Polizei Fahrlässigkeiten zur Last gelegt werden, da sie durch Sperren die Situation vor Ort noch verschärft hat.
Die einzelnen Vorwürfe sind in meinem Beitrag vom 23.09. und in dem vom 28.07. und in den dazu gehörigen Kommentaren wesentlich ausführlicher dargelegt, hier nur ganz knapp zusammengefasst:
Die Planung der Veranstaltung sah eine Menge von Besuchern vor, die in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht auf das Gelände gelangen konnten. Es musste daher zum Stau kommen, dessen Bewältigung nur unzureichend geplant war.
Bei der Genehmigung der Veranstaltung wurden zudem Besucherströme nur in einer Richtung beachtet und nicht berücksichtigt, dass nach der Planung Hunderttausende gleichzeitig auf das Gelände kommen und es verlassen sollten - über mehrere Stunden und durch nur einen Ein-/Ausgang - eine Unmöglichkeit. Diese Unmöglichkeit wurde trotz Erkennbarkeit ignoriert, auch von den Strömungsphysikern, die die Stadt mit der Analyse der Entfluchtung des Geländes beauftragt hatte.
An entscheidenden Stellen - nämlich auf hunderten von Metern (Tunnel/Rampe) zwischen dem Einlass und dem eigentlichen Festgelände, gab es außerdem keine Fluchtwege.
Diese Wegführungen (die selbst als Fluchtweg galten) waren überdies verengt von Bauzäunen, Polizeiwagen und Brezel-Ständen. Sie wichen insofern ab von der Genehmigung. Die Besucher wurden auch nicht durch Lautsprecherdurchsagen gesteuert, obwohl dies bei der Größe der Veranstaltung und der Eingangssituation unbedingt erforderlich war.
An der späteren Stelle der Katastrophe befand sich ein offen stehender Gulli, der mit einem dazu ungeeigneten Bauzaun abgedeckt worden war. Hier starben im Gedränge die meisten Menschen - sie konnten dieser Gefahrenstelle nicht ausweichen.
Wenn man diese Punkte noch einmal zusammenfasst, bedrückt es noch heute, selbst wenn man nicht unmittelbar betroffen ist: Hier sind Menschen gestorben, weil einfachste und gesetzlich klar geregelte Sicherheitsvorschriften nicht beachtet wurden, weil man offenbar unbedingt diese Veranstaltung durchführen wollte. Zu Recht wird nach wie vor auch die politische Verantwortung des Duisburger Oberbürgermeisters eingeklagt. Er hätte sich auch in der Anerkennung gesonnt, die eine gut verlaufene Loveparade 2010 ihm gebracht hätte, entsprechend muss er politisch dafür haften, dass es katastrophal misslungen ist - ganz unabhängig von unmittelbarer strafrechtlicher Verantwortung, die nach den Presseberichten der Staatsanwaltschaft wohl nicht angenommen wird (Quelle). Dass die Stadt Duisburg nach den Ereignissen sich mit Hilfe eines für mehrere Hunderttausend Euro bei einer Anwaltskanzlei bestellten "Rechtsgutachtens" reinwaschen wollte, gehört auch zu den vom OB verantworteten politischen Missgriffen.
Die strafrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit diesem Ereignis sind hier im Blog mit einer Nachhaltigkeit diskutiert worden, die bisher bei keinem der hier verhandelten Themen erreicht wurde. Die drei (update 08.02.2011: vier) von mir eingestellten Beiträge sind insgesamt bislang 25000 mal (update 08.02.2011: 42500mal) aufgerufen und über 1100 mal (update 08.02.2011: über 1350 mal) kommentiert worden. Damit wurde die Leistungsfähigkeit der Kommentarfunktion in diesem Blog mehrfach auf eine ernsthafte Probe gestellt. Dabei wird - wie nicht anders zu erwarten bei so einem komplexen Geschehen, die Diskussion nunmehr weitgehend von wenigen "Experten" geführt, die sich in den vergangenen Monaten in alle Einzelheiten des Geschehens und der im Netz verfügbaren Planungsunterlagen eingearbeitet haben. Viele der Kommenatre sind hilfreich und alle zusammen vermitteln ein realistisches Bild von den Abläufen vor und bei dieser Veranstaltung. Als Fazit lässt sich wohl festhalten: Die Katstrophe war kein unglücklicher Zufall oder einfach Pech, sondern sie war bei der mangelhaften Planung, der widerrechtlichen Genehmigung und der mangelhaften Beachtung von Sicherheitsvorkehrungen geradezu erwartbar. Die Loveparade hätte in dieser Größenordnung an diesem Ort und mit diesen Vorkehrungen nicht stattfinden dürfen.
Es ist schwierig, derart komplexe Fälle strafrechtlich zu ermitteln - es gibt hunderte Zeugen, die befragt werden können/müssen, es gibt hunderte von Video- und Fotodokumenten, die analysiert werden müssen und natürlich hat jeder (potentiell) Beschuldigte auch das gute Recht, sich zu verteidigen, insbesondere auch das Recht zu schweigen. Daher kann der - soweit berichtet wird - umfangreich ermittelnden Staatsanwaltschaft kein Vorwurf gemacht werden, dass es zu langsam gehe. Wenn und soweit die Ermittlungen am Ende erfolgreich sind und ein Rechtsfrieden schaffendes Ergebnis haben, sollten diese Ermittlungen auch gründlich sein und dies braucht eben Zeit.
Ich habe hier mehrfach die große Wichtigkeit einer strafrechtlichen Aufarbeitung betont, wenn auch das Strafrecht (bei Weitem) nicht die einzige bedeutsame Perspektive ist, unter der die Loveparade 2010 analysiert werden kann. Das Strafrecht ist, auch wenn dadurch direkt keine emotionalen und finanziellen Schäden behoben werden, das stärkste Signal der Gesellschaft, dass ein solches Ereignis nicht hingenommen wird, und dass man die Sicherheit der Besucher nicht hinter dem "Ruhm", eine solche Veranstaltung durchgeführt zu haben, zurückstehen lassen darf.
Die Diskussion geht sicherlich noch weiter.