Tabuwörter bei Google und Bing - wie Suchmaschinen sich an Kriminalprävention versuchen
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Der amerikanische Kriminologe Edwin H. Sutherland hat in seiner Theorie der differentiellen Assoziation darauf hingewiesen, dass Straftatbegehung nicht nur die böse Absicht und Gelegenheit voraussetzt, sondern auch ganz banal Kenntnisse über die Techniken der Begehung eines Delikts. Die erfolgreiche Karriere als Straftäter setzt voraus, dass man sich solche Techniken aneignet und sie praktisch einübt. Eine quasi natürliche Hürde vor der Straftat ist daher regelmäßig schlicht die Unwissenheit, wie man denn ein bestimmtes Delikt überhaupt ausführen könnte, ohne dabei erwischt zu werden. Nun war dieses Knowhow in der Zeit Sutherlands noch nicht an jeder Ecke verfügbar, so dass Sutherlands Theorie insofern recht überzeugend wirkte: Für manche Informationen musste man wohl zunächst die entsprechenden Informanten ausfindig machen und kennenlernen, und sie waren als künftige Konkurrenten auch nicht gerade besonders auskunftsfreudig, kurz: man musste schon selbst einen entscheidenden Schritt auf die Seite des Unrechts tun, bevor man gewisse Fertigkeiten überhaupt erlernen konnte.
Mit dem Internet und vor allem mit Google ist heute alles anders: Nahezu ungefiltert erhält der (weitgehend anonym) suchende User jede Menge Informationen über kriminelle Fertigkeiten: Wie man Schlösser knackt, ist dabei noch das harmloseste Beispiel. Die schon fast sprichwörtliche "Internet-Anleitung zum Bombenbau" fehlt in keinem internetskeptischen Beitrag. Mehr noch: Durch die Funktion "Autovervollständigen" hilft Google sogar noch denen auf die kriminellen Sprünge, die nicht einmal die Suchwörter richtig schreiben oder die Suchanfrage richtig formulieren können.
Besonders geärgert hat sich über die Autovervollständigen-Funktion die Musikindustrie. Sie hat jetzt einen Erfolg zu vermelden: Wer in Google nach den Begriffen "rapidshare", "torrent" oder "megaupload" suchen will, dem wird nicht mehr schon nach der bloßen Eingabe von "ra", "tor" oder "mega" der treffende Suchbegriff angeboten. Diese Wörter wurden vielmehr von Google aus der Autovervollständigen-Datenbank gelöscht (Quelle). Natürlich können diese Begriffe noch gesucht und gefunden werden. Aber Google will sich offenbar nicht mehr vorwerfen lassen, die Suchmaschine erleichtere den (Urheber-)Rechtsbruch auch noch. Wobei, darauf weisen die Betreiber durchaus zutreffend hin (Quelle), auf den jeweiligen Seiten auch völlig legale Downloadmöglichkeiten zu finden sind. Eine für diese Wörter "unzensierte" Autovervollständigung bietet übrigens (noch immer) die Suchmaschine "bing".
Nun stellt sich natürlich die Frage, ob Google sich allgemein dem Recht stärker verpflichtet fühlt und etwa auch bei anderen mit deutlich schwerwiegenderer Kriminalität verbundenen Suchanfragen die Hilfe verweigert, quasi kriminalpräventiv motiviert. Unter anderem das fragte sich jedenfalls Eli Rosenberg vom amerikanischen Magazin "the Atlantic" (hier). Ähnliche Beispiele habe ich einmal in deutscher Sprache bei google.de und bing.de ausprobiert.
"Wie baue" - wird bei Google vervollständigt zu "ich einen Joint" (2. Stelle), bei Bing zu "ich eine Bombe" (1. Stelle)
"Wie bringe ich einen" - wird bei Google vervollständigt zu "Menschen um" (7. Stelle), bei Bing wird schon nach "Wie bringe" nur noch "ich mich um" angeboten.
"Wie raube" - wird vervollständigt zu "eine Bank aus" (1. Stelle), bei Bing wird nichts ergänzt.
"Wo kann" - wird in sieben von zehn Vervollständigen-Angeboten - ähnlich bei Bing - mit nicht ganz legalen Möglichkeiten verknüpft, wobei es insbesondere um Verhaltensweisen geht, die der Musik- und Filmindustrie Sorge bereiten.
Das Ergebnis bei "Wie tö" ist bei Google nur wenig überraschend - bei Bing gibt es dazu keine Ergänzung.
"Bom" wird hingegen bei beiden nicht zu "Bombe" vervollständigt, offenbar ist es auf der Liste der Tabuwörter.
Hinter dem ganz witzigen Potential, das solche Recherchen auch haben können, verbirgt sich ein ernsterer Hintergrund:
Eine wirtschaftlich starke Lobby schafft es, die Suchroutinen von (eigentlich) ganz neutralen Suchmaschinen zu beeinflussen. Dies erscheint mir durchaus eine subtile Form der Kontrolle, die demokratisch kaum legitimiert ist und - wie gezeigt - auch nicht wirklich mit dem Bemühen um Kriminalprävention zusammenhängt.