Substitutionsarzt, die Zweite – hier: Take-Home-Vergabe
Gespeichert von Dr. Jörn Patzak am
Die Fälle von missbräuchlichen Betäubungsmittelverschreibungen und -abgaben von Ärzten im Rahmen einer Substitutionsbehandlung scheinen sich zu häufen. Über einen Arzt, der L-Polamidon ohne die erforderlichen Kontrolluntersuchungen an einen Patienten verschrieben hatte, habe ich erst kürzlich im Blog berichtet (s. hier).
Aktuell beschäftigte sich das Verwaltungsgericht Köln mit einem Arzt, dem von der Staatsanwaltschaft Bonn vorgeworden wird, im Rahmen einer sog. Take-Home-Verschreibung Patienten das Substitutionsmittel Methadon für bis zu sieben Tage mit nach Hause gegeben zu haben. Die Staatsanwaltschaft Bonn erhob deshalb wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln zum Landgericht Bonn Anklage. Dieses ließ die Anklage mit Eröffnungsbeschluss vom 20.03.2012 zu. Das Verwaltungsgericht Köln war parallel dazu mit der Frage beschäftigt, ob die Vorwürfe die Anordnung des Ruhens der Approbation des Arztes rechtfertigen (Verwaltungsgericht Köln, Urt. v. 24.04.2012, 7 K 7253/10 = BeckRS 2012, 50661). Hierzu führe es u.a. aus:
„Die Anordnung des Ruhens der Approbation ist auch materiell rechtmäßig.
Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 BÄO kann das Ruhen der Approbation angeordnet werden, wenn gegen den Arzt wegen des Verdachts einer Straftat, aus der sich seine Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufs ergeben kann, ein Strafverfahren eingeleitet ist. Unwürdigkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn der Arzt durch sein Verhalten nicht mehr das Ansehen und das Vertrauen besitzt, das für die Ausübung seines Berufes unabdingbar nötig ist. Unzuverlässig als Arzt ist, wer nicht die Gewähr dafür bietet, dass er in Zukunft seine beruflichen Pflichten zuverlässig erfüllen werde.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 09.01.1991 - 3 B 75.90-, Rn. 3, juris; VG Saarland, Urteil vom 22.09.2004 - 1 K 160/02-, Rn. 28 ff., juris, m. w. N.
Die Befugnisnorm des § 6 Abs. 1 Nr. 1 BÄO ermächtigt die Behörde, nach pflichtgemäßem Ermessen schon in dem frühen Stadium der Einleitung eines Strafverfahrens, zum Schutz einzelner Patienten und der Allgemeinheit vor den mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit von dem Arzt ausgehenden Gefahren rasch einzugreifen. Daher braucht, anders als bei einem Widerruf der Approbation, ein die Unwürdigkeit bzw. die Unzuverlässigkeit aufzeigendes Verhalten des betroffenen Arztes noch nicht nachgewiesen zu sein; vielmehr reichen Verdachtsmomente hinsichtlich des strafrechtlich relevanten Verhaltens aus.
Vgl. OVG Saarland, Urteil vom 29.11.2005 - 1 R 12/05-, Rn. 57, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.07.1991 - 9 S 1227/91-, Rn. 5, juris.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Nr. 1 BÄO sind nach dessen Wortlaut aufgrund der unter dem 27.10.2010 vor dem Landgericht Bonn erhobenen staatsanwaltschaftlichen Anklage erfüllt.“
Zum rechtlichen Hintergrund zur Take-Home-Vergabe: Ärzten ist es nach § 13 Abs. 1 BtMG gestattet, die in Anlage III zum BtMG bezeichneten Betäubungsmittel zu verschreiben oder im Rahmen einer ärztlichen Behandlung einschließlich der ärztlichen Behandlung einer Betäubungsmittelabhängigkeit zu verabreichen oder einem anderen zum unmittelbaren Verbrauch zu überlassen, wenn ihre Anwendung am oder im menschlichen Körper begründet ist. Hierzu führt das Verwaltungsgericht Köln weiter aus:
„Dabei liegt ein Verabreichen im Rahmen ärztlicher Behandlung nur dann vor, wenn das Betäubungsmittel eingeflößt, eingegeben, injiziert, intubiert, eingerieben, infundiert oder inhaliert wird, wobei das Verabreichen keine Mitwirkung des Patienten voraussetzt.
Vgl. Patzak, in: Körner, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 13 BtMG, Rn. 7, § 29 BtMG, Rn. 97; Körner, Betäubungsmittelgesetz, 5. Auflage 2001, § 29 BtMG, Rn. 1254; Weber, Betäubungsmittelgesetz, 3. Auflage 2009, § 13 BtMG, Rn. 10.
Ein Überlassen zum unmittelbaren Verbrauch ist hingegen gegeben, wenn der Patient die Betäubungsmittelanwendung oder -einführung am oder im eigenen Körper selbst durchführt, wobei er hierbei in der Regel keinen Besitz, sondern lediglich eine Konsummöglichkeit erlangt. Dem Patienten muss das Betäubungsmittel zum sofortigen Gebrauch ausgehändigt werden, ohne dass er daran eine eigene Verfügungsmacht erlangt. Die Verfügungsgewalt verbleibt insoweit beim überlassenden Arzt. Aus diesem Grund liegt keine Verbrauchsüberlassung, sondern eine Abgabe von Betäubungsmitteln vor, wenn der Patient über das Betäubungsmittel frei verfügen kann und an diesem Besitz erlangt.
Vgl. BGH, Beschluss vom 28.07.2009 - 3 StR 44/09-, Rn. 5, juris; Patzak, in: Körner, Betäubungsmittelgesetz, 7. Auflage 2012, § 13 BtMG, Rn. 6, § 29 BtMG, Rn. 100; Körner, Betäubungsmittelgesetz, 5. Auflage 2001, § 29 BtMG, Rn. 1255; Weber, Betäubungsmittelgesetz, 3. Auflage 2009, § 13 BtMG, Rn. 11.
Das Verhalten des Klägers, den von ihm behandelten opiatabhängigen Patienten das Substitutionsmittel aus dem Praxisbestand im Wege einer Take-Home-Vergabe für mehrere Tage vordosiert zur eigenverantwortlichen Einnahme auszuhändigen, kann mithin rechtlich - ungeachtet des Vorliegens der weiteren Voraussetzungen - weder als Verabreichen, noch als unmittelbare Verbrauchsüberlassung im Sinne von § 13 Abs. 1 Satz 1 BtMG qualifiziert werden, da den Patienten stets eigene Verfügungsgewalt an den Substitutionsmitteln verschafft worden ist. Die Vergabe ist mithin von der Vorschrift nicht gedeckt.“
Die Verschreibung von Substitutionsmitteln wird ergänzend in § 5 BtMVV geregelt. Dabei gilt im Grundsatz, dass die Verschreibung dem Substitutionspatienten nicht ausgehändigt werden darf (§ 5 Abs. 5 BtMVV). § 5 Abs. 8 BtMVV regelt für die Take-Home-Verschreibungen aber Ausnahmen. So darf der Arzt in Fällen, in denen die Kontinuität der Substitutionsbehandlung nicht anderweitig gewährleistet werden kann, gemäß § 5 Abs. 8 Satz 1 BtMVV ein Substitutionsmittel in der bis zu zwei Tagen benötigten Menge verschreiben und ihm dessen eigenverantwortliche Einnahme gestatten, sobald der Verlauf der Behandlung dies zulässt, Risiken der Selbst- oder Fremdgefährdung soweit wie möglich ausgeschlossen sind und die Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs nicht beeinträchtigt werden. Zudem ist gemäß § 5 Abs. 8 Satz 4 BtMVV die Aushändigung einer Substitutionsmittelverschreibung über die bis zu sieben Tagen benötigte Menge zur eigenverantwortlichen Einnahme gestattet, sobald und solange sich der Zustand des Patienten stabilisiert hat und eine Überlassung des Substitutionsmittels zum unmittelbaren Verbrauch nicht mehr erforderlich ist. D.h., der Arzt darf dem Patienten Substitutionsmittel für einen längeren Zeitraum verschreiben, die dieser außerhalb der Aufsicht des Arztes einnehmen kann. Die Abgabe der Substitutionsmittel darf aber nur über die Apotheke erfolgen.
Fazit: Eine Mitgabe von Substitutionsmitteln durch den Arzt an den Patienten ist als unerlaubte Abgabe von Betäubungsmitteln nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG strafbar.