Juristen als Spitzenmanager
Gespeichert von Prof. Dr. Claus Koss am
Wer Kaffeepulver in einen Kaffeefilter füllt und heißes Wasser dazu gibt, bekommt frisch gebrühten Kaffee. Wer mehr Kaffee in den Filter füllt, bekommt stärkeren Filterkaffee. Übertragen auf Unternehmen: je mehr Juristen an der Unternehmensspitze, desto weniger Rechtsstreitigkeiten sind zu erwarten. Das liegt einfach daran, dass Juristen darauf trainiert sind, Risiken zu vermeiden. Manager mit BWL-Ausbildung sind eher Risiko-affin.
M. Todd Henderson (University of Chicago Law School), Irena Hutton (Florida State University), Danling Jiang (SUNY at Stony Brook) und Matthew Pierson (Florida State University) untersuchten das Verhalten von 3500 CEOs, darunter 9 % mit einer juristischen Ausbildung, mit dem von Absolventen anderer Fakultäten. Außerdem werteten sie rund 70.000 Klagen gegen die 2400 Unternehmen der untersuchten Spitzenmanager aus. Das Ergebnis der im Internet verfügbaren Studie (https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2923136 vom 28. April 2017) ist nicht weiter verwunderlich: Unternehmen mit juristisch ausgebildeten Managern sind deutlich weniger in Rechtsstreitigkeiten verwickelt als andere. Dieses Ergebnis hängt auch nicht von Branche, Unternehmensgröße, Rentabilität oder Renditen ab. Aus ihren Untersuchungen folgern die Forscher außerdem, dass das Risikomanagement mit Juristen an der Unternehmensspitze besser ist. Bei Firmen mit einem hohen Risiko von Rechtsstreitigkeiten und einem starken Wachstum würde dies zu einem höheren Unternehmenswert führen. Bei allen anderen Branchen und Unternehmen würde dieses konservative Verhalten dagegen sich negativ auf den Unternehmenswert auswirken.
Spontane Reaktion des betriebswirtschaftlich vorgebildeten Verfassers: haben die US-amerikanischen Forscher überhaupt die richtige Frage gestellt? Denn entscheidend für den Erfolg eines Unternehmens ist doch nicht die Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten! Zweite Überlegung: schon die Zahlenverhältnisse der untersuchten Fälle erscheint problematisch. 9% Juristen gegenüber 91% anders qualifizierte Manager - da ist Misstrauen bei der Validität der Untersuchung angezeigt. Bestärkt wird dieses Misstrauen, wenn sich der Verfasser die Ergebnisse der Untersuchung im Detail ansieht. Denn die Korrelationskoeffizienten sind niedrig.
Übertroffen wird die Fragwürdigkeit des Vorgehens nur noch durch die Zusammenfassung in der Management-Praktikerliteratur. "Topmanagement: Sind Juristen die besseren CEOs?" fragt die Zeitschrift "Harvard Business Manager" (Ausgabe November 2017, S. 16). Schon fast suggestiv fasst der anonym bleibende Verfasser das Ergebnis der Studie zusammen: "16 bis 74 Prozent weniger Rechtsstreitigkeiten" hätten Unternehmen mit einem Juristen im Topmanagement. Ein anderes Ergebnis würde Juristen auch ein schlechtes Zeugnis ausstellen. Die eigentlich entscheidende Frage nach dem Zusammenhang zwischen juristischer Qualifikation und Unternehmenserfolg wird aber nicht gestellt.