„Zu Tode gepflegt“
Gespeichert von Dr. Michaela Hermes, LL.M. am
Ein vollendeter Mord, vier versuchte Morde, ein noch abzuklärender Todesfall, mehrere Diebstähle. Das ist nach heutigem Stand der polizeilichen Ermittlungen die Bilanz einer Pflegemordserie, die in ihrer grauenvollen Einzigartigkeit ihres Gleichen sucht. Täter soll der polnische Pfleger, Grzegorz Wolsztajn, sein.
Ihm wird vorgeworfen, seine Opfer mit Insulinspritzen getötet, sie beraubt und bestohlen zu haben. In Mühlheim hatte er im Juli 2017 versucht, einen Pflegebedürftigen zu töten. Die Tochter stellte damals Strafanzeige. Erst im Februar 2018 kam es aufgrund eines weiteren Vorfalles in Bayern tatsächlich zu polizeilichen Untersuchungen.
Die Ermittlungen gestalten sich als schwierig. Vieles ist noch ungeklärt. Die Kriminalpolizei geht von einer großen Dunkelziffer an weiteren Opfern aus und fahndet öffentlich. Grund für die Schwierigkeiten sind u.a. tatsächliche Hindernisse. Die verstorbenen älteren Menschen müssen, sollte sich der Verdacht einer unnatürlichen Todesursache erhärten, exhumiert werden. Die Einsatzorte des Hilfspflegers sind über Deutschland verteilt. Ein Dickicht an Vermittlungs- und Arbeitnehmerüberlassungsverträgen erschwert die Nachvollziehbarkeit des Bewegungsprofils des Beschuldigten.
Im Rahmen einer 24-Stunden Pflege für Senioren gibt es unterschiedliche vertragliche Modelle. Im Fall von Wolsztajn sind durch Vermittlung einer deutschen Agentur Dienstleistungsverträge zwischen den pflegebedürftigen Personen und einer polnischen Firma geschlossen worden. Letztere entsandte den Betreuer an den jeweiligen Einsatzort. Inwieweit er und andere Hilfspfleger von der polnischen Firma oder der deutschen Vermittlungsagentur kontrolliert und ausgebildet wurden, ist völlig unklar.
Die Einstellung des Hilfspflegers basierte auf Vertrauen. In seinem Bewerbungsbogen, der unter dem Logo der deutschen Vermittlungsagentur verschickt wurde, beschreibt sich Wolsztajn als „Ich bin eine warmharzige und emphatische Person.“ Fortbildungszertifikate und Empfehlungsschreiben sind beigefügt. Doch der Beschuldigte hatte bereits in Polen Vorstrafen.
Entgegen eines Auftrags der Staatsanwaltschaft Duisburg soll es die Polizei, so die Pressemitteilung durch den Essener Polizeipräsidenten, versäumt haben, Erkundigungen über den Tatverdächtigen in anderen Bundesländern oder Polen einzuholen. Drei Beamte wurden aufgrund dieser Versäumnisse suspendiert. Zwei weitere wurden versetzt.
Vertrauen ist gut. Kontrolle ist besser.
Der Markt an Anbietern im Pflegebereich ist groß und unübersichtlich. Zügige Vermittlung bedeutet schnelle Einnahmen. Auf youtube und im Internet wirbt die deutsche Vermittlungsfirma, die auch Wolsztajn in ihrem Angebot hatte, für ihre Dienste. In der E-Mail an die Pflegesuchenden heißt es beispielsweise: „…dem günstigsten Anbieter für eine Pflege Zuhause, getestet von Stiftung Warentest, Ausgabe Mai/2017, 3. Platz von 266 Vermittlern in Deutschland, im Test 13.“
Die Stiftung Patientenschutz schlägt vor, eine verbindliche amtsärztliche Leichenschau bei verstorbenen pflegebedürftigen Menschen durchzuführen. Denn nirgendwo ist es so einfach zu morden wie im Pflegebereich. Ein Schritt in die richtige Richtung.
Vereinzelt wird gefordert, ein polizeiliches Führungszeugnis von den Pflegekräften zu verlangen. Nach deutschem Arbeitsrecht darf der Arbeitgeber bei der Bewerbung ein Führungszeugnis normalerweise jedoch nicht verlangen. Bei Fragen nach den Vorstrafen darf der Bewerber lügen, soweit sie für die Stelle keine Bedeutung haben.
Viele Fragen bleiben nach diesen erschütternden Taten durch den Hilfspfleger. Was wäre, wenn die Polizei bereits 2017 in Mühlheim angemessen reagiert hätte?
Würde eine Registrierung von Pflegekräften eine Kontrolle ermöglichen? Wer führt die Kontrollen dann durch? Wäre eine Berufsaufsicht sinnvoll und praktikabel?