Hasskommentare auf Plattformen – AGBs und Grundrechte I
Gespeichert von Prof. Dr. Katrin Blasek, LL.M. am
Das OLG Hamm (29 U 6/2020) hat im Zusammenhang mit der Löschung eines Hasskommentars und der Sperrung eines User-Accounts zahlreichen interessante Aussagen gemacht.
https://www.justiz.nrw.de/nrwe/olgs/hamm/j2020/29_U_6_20_Beschluss_20200915.html
Eine Internetplattform in Europa (Beklagter) hatte wegen eines als Hasskommentar eingestuften geteilten Beitrags, den der Kläger mit einem „wütendem Emoji“ kommentierte, den Beitrag gelöscht und das Nutzer-Konto des Klägers für eigene Beiträge und Postings für 6 Tage gesperrt. Den ursprünglichen und später aktualisierten Nutzungsbedingungen hatte der Kläger zugestimmt.
Einbeziehung aktualisierter Nutzungsbedingungen:
Lt. OLG Hamm sind die Anforderungen von § 305 II BGB bereits erfüllt, (Rdn. 148 ff.):
„wenn der Vertragspartner nach einem solchen Hinweis und der Möglichkeit der Kenntnisnahme das Vertragsverhältnis fortsetzt, ohne gegen die neuen Bedingungen Widerspruch zu erheben (Palandt/Grüneberg, BGB 79. Aufl. 2020, § 305, Rn. 47).“
Im Fall hatte der Kläger sogar seine ausdrückliche Zustimmung zu einer von der Beklagten am 19.04.2018 per Email und Pop-up-Fenster mitgeteilten und zugänglich gemachten Neufassung ihrer Nutzungsbedingungen erklärt.
Und „Soweit der Kläger - mit Blick auf den Wirkungsmechanismus der Zustimmungsfiktion in Ziffer 13 der Altbedingungen - darauf abhebt, dass ihm als Kunden der Beklagten gar keine Option geboten worden sei, sich gegen die Neufassung der Nutzungsbedingungen auszusprechen, weil dann sein Konto gelöscht worden wäre, nimmt dies der von ihm erklärten Zustimmung nicht ihre Wirksamkeit.“
Nutzungsbedingungen, die sich gegen Hasskommentare richten als überraschende Klauseln? (Rdn. 153 ff.)
„Unwirksam sind danach nur Klauseln, die nach den Gesamtumständen des Vertrages als objektiv ungewöhnlich einzuordnen und nach den Erkenntnismöglichkeiten eines Durchschnittskunden nicht zu erwarten sind (Palandt/Grüneberg, BGB 79. Aufl. 2020, § 305 c, Rn. 3, 4). Die von der Beklagten aufgestellten Verhaltensregeln und Sanktionsmöglichkeiten waren hier aber vom Standpunkt eines Durchschnittskunden ohne Weiteres zu erwarten.“, denn:
- Die Problematik von Hassreden war schon lange Gegenstand umfangreicher und in den Medien breit dargestellter Diskussionen (u.A. wegen Inkrafttreten des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes)
- Vergleichbare Nutzungsbedingungen sind seit Jahren auch bei anderen Social-Media-Plattformen gang und gäbe.
Unangemessene Benachteiligung wegen marktbeherrschende Stellung des Beklagten im Hinblick auf die Meinungsfreiheit des Klägers? (Rdn. 171 ff.)
„Diese Marktmacht [des Beklagten] ist nicht gleichbedeutend mit der echten Monopolstellung von staatlich geführten oder beherrschten Unternehmen der öffentlichen Daseinsfürsorge wie etwa vormals der Post oder Telekommunikationsunternehmen.“ und „Anders als die vom Kläger in den Blick genommenen Unternehmen ist die Beklagte nicht staatlich beherrscht und hat im Hinblick auf die von ihr angebotenen Leistungen auch keine echte Monopolstellung, die sie aus dem Aspekt der Daseinsvorsorge dazu verpflichten könnte, ihre Leistungen möglichst uneingeschränkt zu gewähren. Die öffentliche Meinungsäußerung findet vielmehr nicht allein über die von der Beklagten bereitgestellte Plattform statt, sondern über eine Vielzahl an öffentlichen und privaten Medien, die neben der Beklagten auch im Internet einem allgemeinen Kreis von Nutzern zur Verfügung stehen.“
Grundrechte als objektive Werteordnung auch im Zivilrecht – welche Grundrechte sind in Einklang zu bringen [praktische Konkordanz]? (Rdn. 174 ff.):
- Meinungsfreiheit des Klägers
- Eigentumsgarantie (sog. Virtuelles Hausrecht) und Berufsfreiheit der Beklagten
(Zur Grundrechtsberechtigung des Beklagten – ausländische Gesellschaft mit Sitz in einem EU-Mitgliedstaat, Rdn. 180)
„Die Grundrechte aus Art. 12 und 14 GG können für die Beklagte auch betroffen sein, wenn Inhalte auf ihrer Plattform verbreitet werden, die zwar nicht strafbar sind, aber ihrem Geschäftsmodell zuwiderlaufen.“ … „Insbesondere mindern digital verbreitete Hasskommentare die Attraktivität der betroffenen Plattformen sowohl für Nutzer als auch für werbetreibende Unternehmen. So läuft die Beklagte aufgrund der allgemein bekannten aktuellen Boykottmaßnahmen namhafter deutscher und internationaler Konzerne effektiv Gefahr, wichtige Werbekunden zu verlieren, wenn sie gegen Hasskommentare auf ihrer Plattform nicht wirksam vorgeht.“ (Rdn. 181)
„Denn zur Berufsfreiheit gehört neben der von staatlichen Vorgaben und zivilrechtlichen Inanspruchnahmen Dritter freien Geschäftstätigkeit auch die freie Entscheidung über Art und Ausmaß der beruflichen Betätigung, was für den Betreiber auch umfasst selbst zu entscheiden, welche Werbekunden er halten und gewinnen möchte. Die Nutzung und Bereitstellung der für den Betrieb von G notwendigen Soft- und Hardware unterfällt zudem dem Schutz der Eigentumsgarantie, welche dem Inhaber vermögenswerter Rechte grundsätzlich die alleinige Verfügungsmacht über diese Rechte gewährt. Der grundrechtliche Schutz dieses sog. „virtuellen Hausrechts“ ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung einhellig anerkannt (vgl. OLG Stuttgart aaO, Rn. 73; OLG Karlsruhe aaO, Rn. 55).“ (Rdn. 182)
Verhältnismäßige Einschränkung der Meinungsfreiheit? (Rdn. 184 ff.)
Das bejaht das OLG Hamm, da sich die Nutzungsbedingungen an der Schwere des jeweiligen Verstoßes (also Inhalts des Hasskommentars) ausrichten (Rdn. 204).
Verantwortung des Nutzers für Inhalte, die er „nur geteilt…“ hat?
Das OLG lässt diese Art der Schutzbehauptungen nicht zu (Rdn. 199 f.):
„Mit dem Teilen des Beitrags auf seinem G-Profil hat der Kläger sich diesen zu eigen gemacht und ist somit von der Beklagten zu Recht dafür zu Verantwortung gezogen worden.“
„Dies ergibt sich schon daraus, dass auf dem Konto des Klägers nicht allein der Link zu dem Beitrag zu sehen war, sondern ausweislich des mit der Klage übersandten Screenshots … auch die Überschrift mit dem ersten Satz des Artikels, der nach dem Vorstehenden bereits als Hassrede einzuordnen ist. Der Kläger hat auf seinem Konto in diesem Zusammenhang nicht erklärt, wie er selbst zu dem Beitrag steht, insbesondere, ob er sich davon distanziert bzw. über die vom Blog … verbreiteten Inhalte Aufklärung leisten oder für solcherart Kommentare im Netz sensibilisieren wollte. Stattdessen hat der Kläger den Beitrag mit einem sog. „wütenden“ Emoji versehen, der nach den Gesamtumständen für ein verständiges Publikum ersichtlich nicht anders zu deuten war, als dass der Kläger die im Beitrag zur Schau getragene Empörung über Muslime und Migranten teilte.“