Zwei Gruppenvergewaltigungen fordern auf, dieses Phänomen kriminologisch intensiver zu untersuchen

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 14.08.2010

Zwei erschütternde aktuelle Berichte über brutale Gruppenvergewaltigungen an einer 18-jährigen Frau nahe Augsburg sowie an einer 17-jährigen Deutschen in der Türkei werfen die Frage auf, warum sich in diesen Situationen keiner findet, der dem Opfer beisteht, sondern dieses ebenfalls missbraucht.

  • Die 18 Jahre alte Frau wurde am vergangenen Wochenende von einem jungen Mann aus der Diskothek in einen unbeleuchteten, schlecht einsehbaren Teil des Parkplatzes gelockt und dort zum Sex gezwungen. Dann kamen seine fünf Freunde hinzu und vergewaltigten die Frauen nacheinander in massiver Weise.
  • Die 17 Jahre alte Urlauberin aus Deutschland wurde in der Türkei ebenfalls von sechs Männern vergewaltigt.

Leider gibt es bislang nur wenige Untersuchungen zum Phänomen der Gruppenvergewaltigung (engl. gang rape) in Deutschland. Die beiden aktuellen Taten bestätigen, dass es sich bei den Tätern meist um Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 16 bis 21 Jahren handelt. Die Gruppendynamik wie spezifische Wert- und Normvorstellungen spielen sicher eine Rolle. Aber gerne wüsste man mehr über die Ursachen und Zusammenhänge!

 

 

 

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7 Kommentare

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Dieses gestörte Verhalten wird in den Medien in letzter Zeit des Öfteren mit dem Konsumverhalten Jugendlicher bzgl. Pornographie in Verbindung gebracht. Durch das Internet und kostenlosen Hosting - Seiten, wo jeder à la YouTube private Sex - Videos, Hardcore - Szenen usw. hochladen kann, sind diese Inhalte für jeden, der einen Computer bedienen kann einfach zugänglich. Den Jugendlichen soll bei den Szenen angeblich ein gestörtes Sexualverhalten suggeriert werden; so sind sog. "Gang - Bang" - Szenen, also solche, bei denen mehrere Männer eine Frau pänetrieren, Alltag und in der Szene nichts aufregendes mehr. Dies wird von Leuten, die so etwas nicht von der Realität unterscheiden können und denen ein "normales" Sexualverhalten nicht "vorgelebt" bzw. im Rahmen der konventionellen Aufklärung nicht näher gebracht wurde, auf den Alltag übertragen. Sie halten es für normal, dass mehrere Männer über eine Frau herfallen.
Natürlich lässt sich das nicht pauschalisieren, aber es finden sich doch Parallelen. Die Frage ist nur, wann der Schritt von der Legalität in die Illegalität sich vollzieht. Denn die zur Last gelegten Delikte (schwere Vergewaltigung eventuell in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung) sind auch nicht gerade alltäglich.

Diese Gedankenpervertierung vollzieht sich m.E. also in den Kinderzimmern dieses Landes und wird durch mangelnde Kontrolle durch die Eltern und mangelnde Initiative der Eltern, aber auch durch das soziale Umfeld verstärkt. Man müsste einen effektiven Schutz für Kinder einrichten, aber dann fangen ja die Dystopen und Schwarzseher wieder davon an, dass das ja Zensur sei usw. ...

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@Kant

Wären Gruppenvergewaltigungen ein Produkt der modernen Pornographieverfügbarkeit, dürfte dieses Phänomen nicht älter sein als die Zeiten, in denen bereits Achtjährige Zugriff auf alle Facetten des menschlichen Koitus haben. Aber, Gruppen- oder Massenvergewaltigungen gibt es schon seit sich die ersten Strukturen des (damals noch nicht unbedingt menschlichen) Zusammenlebens herausgebildet haben.

So unangenehm das Auftreten besonders dieser Art der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung ist, so wenig darf in einem von Pluralität geprägten Kausalgeschehen ein einzelner unwillkommener Aspekt der modernen Kultur (wer mag, kann dieses Wort hier in Häkchen setzen) zur Ursache erklärt werden.

Kurz und juristisch gesagt fehlt hier am Unmittelbarkeitszusammenhang.

Aber vielleicht ist an dieser Stelle ein Psychologe interessanter zu hören. Vielleicht liest ja einer mit?

 

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Ein biologisch verankertes Triebverhalten, auf das Sie, Herr Herrmann, anspielen, wird zweifellos vorhanden sein. Die physiologischen (in ihrem Ursachenzusammenhang verschiedenen) Reaktionen von Frauen und Männern auf Pornografie wären anders nicht zu erklären. Allerdings bedarf es meines Erachtens eines konkreten Impulses, dies in einer modernen Sozialisation nach oben zu spülen. Anders als bei der Massenvergewaltigung als Begleiterscheinung miliärischer Auseinandersetzungen liegt er bei der kriminologischen Betrachtung europäischer, jugendlicher Straftäter nicht unbedingt auf der Hand. Ihn vorrangig in der Verbreitung pornografisch inszenierter Gewaltphantasien zum Nachteil von Frauen zu suchen, halte ich aber für durchaus berechtigt.

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Bei Gruppenvergewaltigungen kann auch der Aspekt eine Rolle spielen, dass "die Aggressivität eskaliert, weil einer den anderen an "Männlichkeit" übertrumpfen will", so Schorsch in Bock, Kriminologie.

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Hallo Herr v. Hentschell-Heinegg, geehrte Mit-Blogger,

erlauben Sie mir in dem Zusammenhang auf folgende Artikel auf Spiegel-Online zu verweisen:

http://www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/0,1518,688659,00.html

und, meiner Meinung nach weitaus interessanter,

http://www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/0,1518,545037,00.html

Um schließlich nicht ganz vom Thema abzuschweifen, es scheint sich aus meiner Sicht um ein überwiegend männliches Problem zu handeln, auch wenn http://www.equityhealthj.com/content/pdf/1475-9276-7-20.pdf anderes behauptet.

Wie sehen ihre Meinungen zu diesem Thema aus?

Hat die Gesellschaft überhaupt eine Chance dem entgegenzuwirken oder handelt es sich um ein Problem das man nur eindämmen aber nicht ausschalten kann?

 

Viele Grüße und auf eine weitere fredige Diskussion,

ta

P.S.: zu #6: Das Zitat ist von Oswald Bumke aus "Erinnerungen und Betrachtungen".

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@ ta

Besten Dank für die aufschlussreichen Links!

Unbestritten: Kriminalität allgemein wie Gruppengewalt im Besonderen ist nach wie vor "männlich".

Allerdings nimmt die Kriminalität junger Frauen zu. Die frühere Berliner Jugendrichterin Heisig schreibt dazu in dem von mir heute im Blog besprochenen Buch (S. 27 f): "Mir fällt auf, dass auch die weiblichen Angeklagten bei der Tatbegehung häufig alkoholisiert sind, und man wundert sich manchmal, zu welcher Brutalität solch zarte Gestalten unter Schnaps und anderen Drogen stehend fähig sind. Insgesamt kann aus meiner Sicht aber behauptet werden, dass kriminelles Verhalten junger Frauen noch deutlicher episodenhafter ist als das der Männer; insbesondere im Bereich der Intensivtäter gibt es nahezu keine Frauen. Sie sind nach wie vor im Schnitt durch Interventionen besser zu erreichen, hören bei der Gerichtsverhandlung eher zu, zeigen Einsicht in ihr Fehlverhalten, erfüllen ihre Auflagen zuverlässiger und schneller."

Darauf, dass das Buch (S. 72 ff) auch eine grausame Gruppenvergewaltigung schildert, habe ich in der Besprechung kurz hingewiesen.

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