Keine fristlose Kündigung bei Betrug mit 160 Euro Schaden nach 40 Jahren Betriebszugehörigkeit

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 19.10.2010

Das "Emmely"-Urteil des BAG (vom 10.6.2010 - 2 AZR 541/09) veranlasst die Instanzgerichte zunehmend, auch bei Eigentums- und Vermögensdelikten von Arbeitnehmern mit größeren Schäden eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses (§ 626 BGB) nicht für gerechtfertigt zu halten.

In diese Richtung geht auch ein jetzt veröffentlichtes Urteil des LAG Berlin-Brandenburg (vom 16.9.2010 - 2 Sa 509/10), das einen Betrug mit einem Schaden von rund 160 Euro betraf.

Die Arbeitnehmerin, die als Zugabfertigerin auf einem Bahnhof beschäftigt war, hatte ihr 40-jähriges Dienstjubiläum im Kollegenkreis gefeiert, im Anschluss daran dem Arbeitgeber eine von einer Catering-Firma erhaltene „Gefälligkeits“-Quittung über einen Betrag von 250,00 EUR für Bewirtungskosten vorgelegt und sich den Betrag erstatten lassen, während sich die Bewirtungskosten in Wirklichkeit nur auf rund 90,00 EUR beliefen. Beim Arbeitgeber bestand eine Regelung, wonach aus Anlass des 40-jährigen Dienstjubiläums nachgewiesene Bewirtungskosten bis zur Höhe von 250,00 EUR erstattet werden.

Das Landesarbeitsgericht hat die fristlose Kündigung für unwirksam erachtet. Zwar habe die Arbeitnehmerin durch die Betrugshandlung gegenüber ihrem Arbeitgeber eine strafrechtlich relevante grobe Pflichtwidrigkeit begangen und damit ohne weiteres einen Kündigungsgrund „an sich“ gesetzt. Im Rahmen der auf den Einzelfall bezogenen Interessenabwägung hätten jedoch die zugunsten der Arbeitnehmerin zu berücksichtigenden Umstände – letztlich - überwogen.

Dabei sei die neuere Entscheidung des Bundesarbeitsgericht vom 10.06.2010 (“Emmely“) mit zu beachten gewesen, in der das Bundesarbeitsgericht die Kündigung des Arbeitsverhältnisses einer langjährig beschäftigten Kassiererin für unwirksam erachtet hatte. Den sich aus der Pressemitteilung ergebenden Erwägungen folgend hat das Landesarbeitsgericht in erster Linie die 40-jährige beanstandungsfreie Beschäftigungszeit der Arbeitnehmerin in Rechnung gestellt, die zu einem sehr hohen Maß an Vertrauenskapital geführt habe. Dieses sei durch die einmalige Verfehlung noch nicht vollständig zerstört worden. Des Weiteren sei zu berücksichtigen gewesen, dass die Arbeitnehmerin – anders als "Emmely“, die ihre Pflichtwidrigkeit sogar im Kernbereich ihrer Tätigkeit an der Kasse begangen hatte – sich bei ihrer Handlung außerhalb ihrer normalen Tätigkeit befunden habe, denn als Zugabfertigerin habe sie nicht regelmäßig mit Gelddingen zu tun. Bei dem im Zusammenhang mit der Jubiläumsfeier stehenden Vorgang habe es sich um einen für die Arbeitnehmerin und ihre Tätigkeit atypischen Vorgang gehandelt. Schließlich habe die hiesige Arbeitnehmerin – anders wiederum als "Emmelyl“ – bei der Anhörung durch den Arbeitgeber ihre Pflichtwidrigkeiten sofort eingeräumt und keine falschen Angaben gemacht oder gar Kollegen unzutreffenderweise beschuldigt. Alle diese zu Gunsten der Arbeitnehmerin sprechenden Gesichtspunkte hätten das Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, dem angesichts der massiven Betrugshandlung der Arbeitnehmerin durchaus ein sehr hohes Gewicht beizumessen gewesen sei, letztlich überwogen.

Da die Arbeitnehmerin tarifvertraglich nicht mehr ordentlich kündbar sei, bestehe das Arbeitsverhältnis fort.

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

Kommentare als Feed abonnieren

Kommentar hinzufügen