Wem steht die Entscheidung über das Zeugnisverweigerungsrecht des Kindes zu?

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 26.10.2011

Die Ehefrau hat gegen ihren Ehemann Strafanzeige wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs ihrer Tochter, also der Stieftochter des Ehemanns, erstattet.

Die Staatsanwaltschaft will das Kind richterlich vernehmen lassen und hat bei dem FamGericht die Bestellung eines Ergänzungspflegers mit dem Wirkungskreis Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts und Entbindung der Ärzte von der beruflichen Schweigepflicht beantragt.

Das FamG hat den Beschluss erlassen.

Die Beschwerde der Mutter war erfolgreich.

Entscheidend ist § 52 II StPO

 

(2) Haben Minderjährige wegen mangelnder Verstandesreife oder haben Minderjährige oder Betreute wegen einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung von der Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts keine genügende Vorstellung, so dürfen sie nur vernommen werden, wenn sie zur Aussage bereit sind und auch ihr gesetzlicher Vertreter der Vernehmung zustimmt. Ist der gesetzliche Vertreter selbst Beschuldigter, so kann er über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts nicht entscheiden; das gleiche gilt für den nicht beschuldigten Elternteil, wenn die gesetzliche Vertretung beiden Eltern zusteht.

 

Das OLG rügt zunächst, dass das AG die Verstandesreife des Kindes nicht ermittelt hat.

Dann stellt es fest, dass die Voraussetzungen des § 52 II 2 StPO nicht vorliegen: Die gesetzliche Vertreterin ist nicht Beschuldigte (S. 2 1. Alt), ihr Ehemann ist nicht der Vater (S. 2 2.Alt.). Eine analoge Anwendung des § 52 II lehnt der Senat mangels Regelungslücke ab.

 

Vorsorglich weisst der Senat aber daraufhin, dass in Fällen wie dem vorliegenden, falls der alleinvertretungsberechtigte Elternteil sein Sorgerecht durch eine dem Kindeswohl widersprechende Entscheidung missbrauchen sollte, das Sorgerecht teilweise gemäß § 1666 BGB entzogen und dann insoweit Ergänzungspflegschaft angeordnet werden kann.

OLG Brandenburg v. 16.09.2011 - 13 UF 167/11

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6 Kommentare

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Das ist ja mal wieder eine tolle Entscheidung.

Hopper schrieb:

Vorsorglich weisst der Senat aber daraufhin, dass in Fällen wie dem vorliegenden, falls der alleinvertretungsberechtigte Elternteil sein Sorgerecht durch eine dem Kindeswohl widersprechende Entscheidung missbrauchen sollte, das Sorgerecht teilweise gemäß § 1666 BGB entzogen und dann insoweit Ergänzungspflegschaft angeordnet werden kann.

Die Feststellung ob der alleinvertretungsberechtigte Elternteil sein Sorgerecht missbraucht, soll ja überhaupt erst durch die Aussage des Kindes festgestellt werden.

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Nein, der alleinvertretungsberechtigte Elternteil hat zunächst einmal das Recht der Vertretung, da nicht beschuldigt. Der Beschuldigte ist nicht der Vater.

Deshalb kann eben nicht "im voraus" ein Ergänzungspfleger bestellt werden, da von einer rechtmäßigen Vertretung auszugehen ist. Die Sache ist rechtlich nicht anders, als wenn der Nachbar beschuldigt würde. Hier würde niemand nach einem Ergänzungspfleger fragen.

Sollte allerdings, was noch zu begründen wäre, der alleinvertretungsberechtigte Elternteil entgegen dem Kindswohl handeln, dann kann ein Ergänzungspfleger bestellt werden.

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Susi, was sie beschreiben mag die aktuelle Rechtslage sein, nichtsdestoweniger ist es Unsinn, diese Entscheidung einer Prozesspartei zu überlassen.

Egal ob Beschuldigter oder Beschuldiger.

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"Die Feststellung ob der alleinvertretungsberechtigte Elternteil sein Sorgerecht missbraucht, soll ja überhaupt erst durch die Aussage des Kindes festgestellt werden."

Nein, der Sorgerechtsmissbrauch würde darin bestehen, zu Lasten des Kindes den Täter zu schützen. (Also Ärzte nicht von der Schweigepflicht zu entbinden, Kind nicht aussagen lassen etc.) Das laesst sich vor der Aussage feststellen.

 

"nichtsdestoweniger ist es Unsinn, diese Entscheidung einer Prozesspartei zu überlassen."

Der Anzeigeerstatter im Strafverfahren ist nicht automatisch Prozesspartei. Auch nicht als gesetzlicher Vertreter des Opfers, das ist nämlich normalerweise auch nicht Prozesspartei.

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Vielen Dank an Susi und I.S. für die Richtigstellungen.

Ob das bei Herrn Fawkes allerdings einen Erkenntnisgewinn bewirken wird, bleibt abzuwarten.

Ich schließe mich dem Dank an.

 

Der Erkenntnisgewinn ist allerdings in der Tat gering, denn um den Erstatter einer Strafanzeige nicht als Partei(lich) anzusehen muss man wahrscheinlich tatsächlich Jurist sein.

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