Vom verrückt gewordenen Grenzzeichen zum VersAusglG

von Hans-Otto Burschel, veröffentlicht am 02.11.2011
Rechtsgebiete: VersAusglGFamilienrecht3|5400 Aufrufe

Ich hatte es zunächst für einen Scherz gehalten, aber es stimmt tatsächlich:

Die Deutsche Gesellschaft für Gesetzgebung vergibt jährlich einen Ersten Preis für gute Gesetzgebung.

Und der Gewinner 2011 ist: Das Versorgungsausgleichsgesetz

In Zusammenarbeit mit der Stiftung Apfelbaum soll der Preis hervorragende Akte auf dem Gebiet der Gesetzgebung sowohl dem Fachpublikum als auch einer möglichst breiten Öffentlichkeit vorstellen und dadurch die Qualität der Gesetzgebung insgesamt fördern.

Zugegeben: Schon sprachlich waren die §§ 1587 ff BGB (a.F.) so ziemlich das Schlimmste, was dem Gesetzgeber jemals aus der Feder geflossen ist.

Das VersAusglG mit seinen kurzen Sätzen und wenigen Absätzen ist demgegenüber eine echte Wohltat.

Ob man das Gelesene dann auch versteht, ist eine andere Frage

Stephanie Thieme (Leiterin des beim Bundesministerium der Justiz angesiedelten Projekts "Verständliche Gesetze") dazu auf Lto:

 

Je spezieller der Adressatenkreis des Gesetzes ist, umso spezieller dürfe auch die Regelung in ihrer Terminologie und systematischen Darstellung sein. Der Bearbeiter müsse immer im Hinterkopf behalten, dass er es mit einer Fachsprache zu tun hat, an die man nicht ohne weiteres den Maßstab der Alltagssprache anlegen kann. Verbesserungswürdig seien in jedem Fall allgemeine Verständlichkeitshindernisse, wie etwa überlange und verschachtelte Sätze oder das Aneinanderreihen von nominalisierten Verben. Über derartige formale Kriterien hinaus prüfen die Sprachwissenschaftler auch den logischen Aufbau und die Schlüssigkeit des Textes.

 

Ganz ohne wissenschaftliche Hilfestellung gelang dem Gesetzgeber 1896 ein in seiner sprachlichen Klarheit bis heute unübertroffenes (Ur-)BGB.

 

Nur manchmal wurde er dabei lyrisch

§ 923

(1)

Steht auf der Grenze ein Baum,

so gebühren die Früchte und,

wenn der Baum gefällt wird,

auch der Baum den Nachbarn zu gleichen Teilen.

(2)

[...]

(3)

Diese Vorschriften gelten auch

für einen auf der Grenze stehenden Strauch.

Oder es schlich sich ein klitzekleiner Grammatikfehler ein

§ 919

(1) Der Eigentümer eines Grundstücks kann von dem Eigentümer eines Nachbargrundstücks verlangen, dass dieser zur Errichtung fester Grenzzeichen und, wenn ein Grenzzeichen verrückt oder unkenntlich geworden ist, zur Wiederherstellung mitwirkt.

 

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3 Kommentare

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Abgesehen von den unsäglich verunstalteten (sprachlich wie inhaltlich) Art. 13 und 16a GG lohnen sich die Art. 1-20 GG immer wieder - und sollte eigentlich monatliche Pflichtlektüre eines jeden "Justizarbeiters" sein.

Und es wäre dringend angebracht, dass sich die Rechtsprechung auf den Wortlaut des §137(3)1 besinnt: "innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes" und die grundgesetzwidrigen, weil Grundrechte (Gewerkschaften, Tarifautonomie, Meinungsfreiheit, Freiheit der Entfaltung der Persönlichkeit) missachtenden Privilegien der Kirchen beendet. 

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Der Grammatikfehler war nie einer und ist auch heute keiner (weil die Verbformen sich nach dem zuletzt genannten Adverb richten müssen). Sowas gilt lediglich als tunlichst zu vermeidende stilistische Schwäche.

Grammatisch falsch ist dagegen z.B. § 623 BGB: "Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung oder Auflösungsvertrag bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform; ...".

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