Nochmals: Vorhergehendes Leiharbeitsverhältnis und Wartezeit

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 13.08.2013

Bereits vor zwei Monaten hatte ich hier im BeckBlog über ein Urteil des LAG Niedersachsen berichtet. Es ging um die Frage, ob ein Arbeitnehmer, der bislang als Leiharbeitnehmer in dem Betrieb tätig war und jetzt in die Stammbelegschaft übernommen wird, sofort allgemeinen Kündigungsschutz (§ 1 KSchG) genießt oder ob er zunächst die sechsmonatige Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG absolvieren muss. Das LAG Niedersachsen steht auf dem Standpunkt, dass der Arbeitnehmer innerhalb der ersten sechs Monate als Stammarbeitnehmer noch keinen allgemeinen Kündigungsschutz genießt.

Dieselbe Auffassung vertritt jetzt auch das LAG Rheinland-Pfalz. Das Gericht setzt sich - anders als das LAG Niedersachsen - erstmals auch mit der aktuellen Judikatur des BAG auseinander. Es sieht aber keinen Anlass, deswegen seine bisherige Linie zu verlassen:

"Mit dem Arbeitsgericht geht die Berufungskammer davon aus, dass die vom Kläger als Leiharbeitnehmer im Betrieb der Beklagten zurückgelegte Beschäftigungszeit vom 14.02.2011 bis 31.12.2011 nicht bei der Berechnung der sechsmonatigen Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG zu berücksichtigen ist. Nach ganz herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur, ist eine als Leiharbeitnehmer im Betrieb des späteren Arbeitgebers verbrachte Zeit nicht auf die Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG anzurechnen ist (LAG Rheinland-Pfalz 08.05.2011 - 8 Sa 137/11 - Rn. 33, 27.11.2008 - 10 Sa 486/08 - Rn. 44, LAG Köln 29.05.2009 - 4 Sa 1096/08 - Rn. 19, jeweils zitiert nach juris; ErfK/Oetker, 13. Auflage § 1 KSchG Rn. 36; vgl. auch BAG v. 08.12.1988 - 2 AZR 308/88 - AP Nr. 6 zu § 1 BeschFG 1985). Da ein Leiharbeitnehmer bei erlaubter gewerbsmäßiger Arbeitnehmerüberlassung sich lediglich im Verhältnis zum Verleiher in einem Arbeitsverhältnis befindet, kann die Zeit der Beschäftigung als Leiharbeitnehmer bei Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem ehemaligen Entleiher nicht bei Berechnung der Wartezeit berücksichtigt werden (KR-Griebeling, 10. Auflage, § 1 KSchG, Rz. 106, m. w. N.). Der vom Kläger im Rahmen der Erörterungen in der Berufungsverhandlung vertretenen Auffassung, an dieser Sichtweise ändere sich möglicherweise etwas durch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, dass Leiharbeitnehmer bei der für die Größe des Betriebsrats maßgeblichen Anzahl der Arbeitnehmer eines Betriebs nach § 9 BetrVG grundsätzlich zu berücksichtigen sind (BAG 13.03.2013 zu - 7 ABR 69/11 - PM, zitiert nach juris), vermochte die Kammer nicht zu folgen. Die herangezogene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts befasst sich ebenso wie dessen Entscheidung, dass bei der Berechnung der Betriebsgröße nach § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG auch im Betrieb beschäftigte Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen sind, wenn ihr Einsatz auf einem „in der Regel“ vorhandenen Personalbedarf beruht (BAG 24.01.2013 - 2 AZR 140/12 - PM, zitiert nach juris) ausschließlich mit der Frage der Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern bei der Ermittlung der Größe des Betriebs, während § 1 Abs. 1 KSchG auf den Bestand des individuellen Arbeitsverhältnisses im Betrieb abstellt. Eine entsprechende Betrachtung ist daher nicht geboten."

LAG Rheinland-Pfalz, Urt. vom 16.05.2013 - 6 Sa 552/12, BeckRS 2013, 70953.

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10 Kommentare

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Meine zum Fall LAG Niedersachsen als Gast (#3) gepostete Ansicht teilt das LAG Rheinland-Pfalz offenbar.

Lutz Breunig schrieb:

Würde der verweigerte, allgemeine Kündigungsschutz in den ersten 6 Monaten auch für den im beck-Blog beschriebenen Fall gelten: "Daimler beschäftigte IT-Experten in Scheinwerkverträgen" ?

http://blog.beck.de/2013/08/02/daimler-besch-ftigte-it-experten-in-scheinwerkvertr-gen

In dem Fall ist das Arbeitsverhältnis gem. § 10 AÜG schon zustandegekommen, als der Arbeitnehmer im Rahmen der unwirksamen Überlassung angefangen hat, bei Daimler zu arbeiten. Das bedeutet, dass die Frist des § 1 Abs. 1 KSchG bereits abgelaufen ist.

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Unter Rn. 14 der Entscheidungsgründe im zu § 23 KSchG ergangenen Urteil vom 24.01.2013 (Az.: 2 AZR 140/12, in: NZA 2013, 726,, sagt das BAG ja selbst, dass für die (von ihm bejahte) Frage, ob Leiharbeitnehmer bei der Betriebsgröße des Entleiherbetriebes mitzählen, § 1 KSchG nichts hergibt. Das "beschäftigt werden" in § 23 KSchG sei eben nicht zwingend ein Beschäftigen "eigener" Arbeitnehmer. Daher halte ich die Entscheidung des LAG Rheinl.-Pfalz, für § 1 KSchG nichts aus den beiden BAG-Entscheidungen herleiten zu wollen, zumindest für vertretbar.

 

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Ergänzung von soeben 16.33 Uhr: Dies ist Anm. eine zum Beitrag von Prof. Rolfs, nicht eine Antwort auf den Beitrag # 1. Dieser erschien offenbar zeitlich vorher, während der vorliegende Beitrag noch entstand.

Martin Bender schrieb:

Daher halte ich die Entscheidung des LAG Rheinl.-Pfalz, für § 1 KSchG nichts aus den beiden BAG-Entscheidungen herleiten zu wollen, zumindest für vertretbar.

Ein Unternehmen, das einen Leiharbeitnehmer übernimmt, hat in diesem einen wertvollen Mitarbeiter erkannt - und stellt ihn genau aus diesem Grund auch ein. Weshalb also noch eine "6-monatige Probezeit" ?

@ Lutz Breunig: Sie zitieren mich korrekt. Deshalb passt Ihre beschäftigungspolitische Frage nicht zu meiner rechtlichen Bemerkung. Ich bezog mich ausschließlich darauf, ob sich das LAG Rheinland-Pfalz in Widerspruch setzte zur neuen BAG-Rspr. über die Betriebsgröße.

@Martin Bender: Auch das ist korrekt. Ich hatte auch gar nicht die Absicht, auf Ihre rechtliche Bemerkung einzugehen sondern wollte Ihre Sicht der Dinge um eine beschäftigungspolitische Dimension erweitern.

Lutz Breunig schrieb:

@I.S. : Vielen Dank für die Klarstellung!

@ I.S.: ... ausserdem ist es hochinteressant, mit Ihnen zu diskutieren.

Wie sehe der Fall denn aus, wenn der Arbeitnehmer über eine Leiharbeit mit dem Zweck der Erprobung für 6 Monate ausgeliehen würde und bei erfolgreichem Abschluß soll anschließend ein Vertrag bei dem Kundenbetrieb mit Verzicht auf Probezeit geschlossen werden.

 

Der Arbeitnehmer wird übernommen, auf Probezeit wird verzichtet (aber nicht ausdrücklichem auf die Wartzeit). 2 Monate nach dem Vertragsabschluß kündigt der neue AG unter Einhaltung der Kündigungsfrist ohne Angabe von Gründen. Ist die Erfüllung der Wartezeit im Sinne der KüSchutzG gegeben oder nicht?

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@Gast Arbeitnehmer:
Eine Probezeit und die Wartezeit gem. KSchG haben nur insoweit etwas miteinander zu tun, dass sie beide mit Beginn des Arbeitsverhältnisses zu laufen beginnen. (Die Vermischung der beiden Begriffe hatte ich ja schon bei der Besprechung des Urteils des LAG Niedersachsen bemängelt.) Die Wartezeit besteht kraft Gesetz, eine Probezeit gibt es nur, wenn sie vertraglich vereinbart wird. Der Verzicht auf eine Probezeit beeinflusst deshalb auch nicht die Wartezeit und beinhaltet auch keinen Verzicht auf die Wartezeit.

Die LAG Niedersachsen und Rheinland-Pfalz haben  entschieden, dass trotz Vorbeschäftigung im Rahmen von Leiharbeit die Wartezeit im übernehmenden Unternehmen erst mit Vertragsschluss beginnt. Es dürfte dabei kein Unterschied sein, ob die Übernahme im Vorfeld so konkret in Aussicht gestellt wurde, wie in dem von Ihnen geschilderten Fall, oder ob die Übernahme erst später beschlossen wurde.

 

Die Konstruktion "Probezeit im Rahmen der Leiharbeit" ist übrigens auch keine Aushebelung von Arbeitnehmerrechten. Denn im Gegensatz zu einer Probezeit im übernehmenden Betrieb hat der Arbeitnehmer auch beim Nichtbestehen der Probezeit immer noch seinen Arbeitsplatz (beim Verleiher).

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