BSG: Abfindung nach § 1a KSchG ist keine "Entlassungsentschädigung"

von Prof. Dr. Christian Rolfs, veröffentlicht am 14.12.2016
Rechtsgebiete: Bürgerliches RechtArbeitsrecht2|7639 Aufrufe

§ 1a KSchG eröffnet dem Arbeitgeber die Möglichkeit, dem Arbeitnehmer eine Abfindung in gesetzlich definierter Höhe für den Fall anzubieten, dass der Arbeitnehmer die dreiwöchige Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG fruchtlos verstreichen lässt. Da der Arbeitnehmer in diesem Fall schlicht untätig bleibt, stellt sein Verhalten keine "Lösung" des Beschäftigungsverhältnisses i.S. von § 159 SGB III dar. Eine Sperrzeit tritt nicht ein. Das ist auch in der Verwaltungspraxis der Bundesagentur für Arbeit anerkannt.

Erstmals zu entscheiden hatte das BSG jetzt die Frage, ob die Abfindung nach § 1a KSchG aber zu einem Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs nach § 158 SGB III (früher § 143a SGB III) führt. Geklagt hatte ein Arbeitsloser, der von 1977 bis zum 30.9.2011 als ziviler Beschäftigter bei den US-amerikanischen Streitkräften in Mannheim tätig war. Nachdem die US Army beschlossen hatte, den Standort zu schließen, war ihm ordentlich aus betriebsbedingten Gründen gekündigt worden. Die Kündigung war mit dem Angebot einer Abfindung nach § 1a KSchG verbunden. Der Kläger erhob keine Kündigungsschutzklage und erhielt die Abfindung in Höhe von rund 46.000 Euro.

Die Agentur für Arbeit bewilligte dem Kläger Arbeitslosengeld, stellte aber für die Dauer von fast vier Monaten ein Ruhen des Anspruchs nach § 158 SGB III fest. Dagegen wendet sich der Kläger. Seine Revision gegen das klageabweisende Urteil des LSG hatte beim BSG in Kassel Erfolg:

Sein Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht in der Zeit vom 1.10.2011 bis 23.1.2012 nicht wegen Bezugs einer Entlassungsentschädigung. Bei der Zahlung von 46.072 Euro handelte es sich um eine Abfindung nach § 1a KSchG. Dieser Anspruch ist keine Entlassungsentschädigung im Sinne des § 143a Abs. 1 Satz 1 SGB III a.F. Eine Entlassungsentschädigung im Sinne der Ruhensregelung liegt nur vor, wenn zwischen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der Gewährung der Leistung ein ursächlicher Zusammenhang besteht, was gesetzlich vermutet wird. Für die Abfindung nach § 1a KSchG besteht die gesetzliche Vermutung des Ursachenzusammenhangs zwischen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der Entstehung des Abfindungsanspruchs nicht. Für eine Einordnung der Zahlung als Entlassungsentschädigung spricht zwar, dass die Leistung im KSchG als "Abfindungsanspruch" bezeichnet und in zeitlichem Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlt wird. Eine Entlassungsentschädigung in diesem Sinne wird jedoch nicht erbracht, wenn ein entsprechender Kausalzusammenhang generell nicht besteht. Für die Abfindung nach § 1a KSchG fehlt es an einem solchen Zusammenhang, weil der Abfindungsanspruch - aufgrund gesetzlicher Vorgabe und ohne Gestaltungsmöglichkeiten der Arbeitsvertragsparteien - erst zu einem Zeitpunkt entsteht, in dem die Kündigung rechtswirksam geworden (§ 4 Satz 1, § 7 KSchG) und das Arbeitsverhältnis zudem beendet ist. Die Abfindung nach § 1a KSchG enthält deshalb keine Anteile an Arbeitsentgelt, sondern wird nach der gesetzlichen Systematik geleistet, wenn und sobald der gekündigte Arbeitnehmer auf ein arbeitsgerichtliches Verfahren verzichtet. Der Arbeitgeber hat bei dieser Gestaltung keinen Anlass, noch Entgelt zu zahlen. Schließlich entspricht es dem Zweck des § 1a KSchG, einen Streit um die Rechtmäßigkeit der Kündigung zu vermeiden und dadurch die Gerichte zu entlasten. Es wäre widersprüchlich, einerseits mit § 1a KSchG ein gesetzliches Instrument zu schaffen, das eine Zahlung ohne Rechtsstreit ermöglicht, die zu vermeidende gerichtliche Prüfung der Kündigung und der Zahlung dann aber im Zusammenhang mit der Prüfung des § 143a SGB III vor den Sozialgerichten nachzuholen.

Der Fall ist insofern ungewöhnlich, als die tarifliche Kündigungsfrist kürzer war als die sozialrechtlich maßgebliche fiktive Frist von einem Jahr (§ 158 Abs. 1 Satz 4 SGB III). Denn nach § 158 Abs. 1 SGB III ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld nur, wenn der Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung (Entlassungsentschädigung) erhalten oder zu beanspruchen hat und das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden ist. In den "Normalfällen" des § 1a KSchG stellt sich die hier streitige Frage gar nicht, weil das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist beendet wird.

BSG, Urt. vom 8.12.2016 - B 11 AL 5/15 R
 

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2 Kommentare

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Es wäre zum Verständnis hilfreich anzugeben, welche Tatsachen für die fiktive sozialrechtliche Kündigungsfrist maßgeblich waren.

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@ Transparenz: Das ergibt sich unmittelbar aus dem verlinkten Gesetzestext, § 158 Abs. 1 Satz 4 SGB III: "Kann der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer nur bei Zahlung einer Entlassungsentschädigung ordentlich gekündigt werden, so gilt eine Kündigungsfrist von einem Jahr".

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